cash: Herr Hüfner, wie beurteilen Sie den allgemeinen Zustand der internationalen Finanzmärkte?

Martin Hüfner: Wir sind in einer grundsätzlich positiven Stimmung, aber mit ganz vielen Gefahren. Es sind politische, monetäre, aber auch wirtschaftliche Risiken. Das verunsichert die Anleger und führt zu den hohen Schwankungen, die wir in den letzten Wochen gesehen haben.

Welche dieser Risiken stufen Sie als besonders gefährlich ein?

Alle drei bergen Gefahren. Die Situationen in der Ukraine sowie im Nahen und Fernen Osten können jederzeit eskalieren. Beim monetären Risiko stellt sich die Frage, wann die Zinsen hochgehen. Alle schauen auf die Federal Reserve und ihre Aktionen an der Zinsfront. Doch niemand weiss, wann und wie sie reagieren wird. Schliesslich wurden auch die Erwartungen an ein gutes Konjunkturjahr enttäuscht. Wir befinden uns zurzeit eher in einem schwachen wirtschaftlichen Umfeld. Es besteht sogar die Gefahr eines konjunkturellen Einbruchs.

Wie werden die Börsen reagieren, wenn die Fed die Leitzinsen erhöht?

Das ist die grosse Frage. In der Vergangenheit gab es zwei ähnliche Situationen mit je unterschiedlichem Ausgang. 1994 wurden die Fed-Zinsen stark angehoben und der Bondmarkt ging in die Knie. Das war ein Blutbad und alles ging schief. 2004 bis 2006 stiegen die Zinsen von 1 auf 5,25 Prozent. Damals reagierten der Bond- und der Aktienmarkt positiv. Beide Szenarien sind also denkbar. Es wird entscheidend sein, dass die Märkte überzeugt sind, die Fed handle in ihrem Interesse. Das ist ein schwieriger Prozess. Fed-Vize Stanley Fisher ist ein sehr marktnaher Zentralbanker, und seine Chefin, Janet Yellen, gilt als vorsichtig. Die Chancen, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen, sind nicht so schlecht. Aber ein Risiko bleibt.

Wo ist die Wahrscheinlichkeit für Kursrückschläge momentan grösser: In Europa oder in den USA?

Eindeutig in Europa. Hier ist nicht nur durch die Situation bei den Zinsen belastet. Hier sind auch die konjunkturellen Gefahren grösser. Die Eurokrise ist noch nicht überwunden. Hinzu kommen die politischen Risiken mit der Ukraine, die Europa stärker treffen als die Amerikaner.

Glauben Sie, dass die konjunkturelle Schwäche der Eurozone zu weiteren Aktionen der EZB führen wird?

Es ist möglich, aber ich hoffe es nicht. Zunächst wird die EZB abwarten, wie sich die Massnahmen vom letzten Juni auswirken, unter anderem die neue grosse Liquiditätszuführung. Aus deutscher Sicht wären weitere Aktionen sicherlich kontraproduktiv. Wenn die Inflationsrate weiter nach unten geht, bleibt der EZB aber wahrscheinlich nichts anderes übrig.

Trifft das Sprichwort 'Politische Börsen haben kurze Beine' auf die aktuelle Situation zu?

Da bin ich mir nicht so sicher. Dieses Sprichwort ist eher dafür gedacht, dass Regierungen kommen und gehen und sich die Wirtschaft unabhängig davon durchkämpft. Heute stellt sich jedoch eine grundsätzliche Frage: Können wir darauf vertrauen, dass die Globalisierung, so wie sie sich seit dem Fall der Mauer entwickelt hat, weitergeht? Die aktuellen Krisen müssen wir daher ernst nehmen. Denn sie sind nicht nur politischer Natur, sondern wirken sich über die Sanktionen direkt auf die Ergebnisse der Unternehmen aus.

Gibt es derzeit überhaupt Alternativen zu Aktieninvestments?

Wenig. Insgesamt ist die Situation an den Aktienmärkten aber auch relativ stabil. Der deutsche Leitindex Dax beispielsweise hat sich von seinem jüngsten Taucher relativ schnell erholt. Davon war ich überrascht. Ich dachte, der Kursrückgang dauere länger an. Die Aktienmärkte werden tendenziell dadurch belastet, dass die Unternehmen unter der schwächelnden Konjunktur leiden werden. Gestützt werden sie hingegen, weil es weiterhin kaum Alternativen zu Aktien gibt. Dennoch ist der Anteil der Aktionäre an der Bevölkerung immer noch relativ klein. Insofern sind wir noch nicht in einer Übertreibung wie 2000. Aktien können sich weiterhin gut halten, aber der Anstieg wird nicht mehr so hoch sein wie in den letzten Jahren. In diesem Jahr können wir froh sein, wenn der Dax 5 bis 10 Prozent Gewinn macht.

Welchen Ratschlag geben Sie Anlegern?

Erstens würde ich das Risiko herunterfahren. Das heisst stark zyklische oder spekulative Werte zugunsten von 'langweiligen' Aktien verkaufen. Dabei drängen sich Schweizer Titel wie Nestlé, Novartis oder Roche auf. Zweitens würde ich Amerika gegenüber Europa bevorzugen. Die USA sind nicht so stark von den politischen und konjunkturellen Risiken betroffen, und es besteht die Chance, dass sich der Dollar aufwertet.

Dr. Martin W. Hüfner (72) ist seit 2009 Chefökonom von Assenagon Asset Management. Zuvor war er unter anderem bei der Aquila-Gruppe und der HypoVereinsbank tätig.