Dieses Interview ist Teil des Magazins «cash VALUE Fonds» 2014. Das Magazin kann als PDF heruntergeladen oder als ePaper gelesen werden.

cash: Herr Neff, wie würden Sie Ihre Funktion als Chefökonom innerhalb einer Bank beschreiben?

Martin Neff: Ich habe meinem jüngsten Sohn kürzlich meinen Job erklärt und gesagt, ich sei so etwas wie der Hofnarr im Mittelalter: Ich darf unangenehme Sachen aussprechen, über die anderen nicht mal nachzudenken erlaubt ist. Andererseits hört mir aber auch nur zu, wer das gerade will.

Insofern geniessen Chefökonomen eine einflussreiche Position innerhalb der Bank.

Das ist von Bank zu Bank verschieden. Teilweise ist der Chefökonom involviert in anlagepolitische Entscheide oder in die Kreditpolitik. Andere Banken schanzen dem Chefökonomen die Rolle eines Thinktanks zu und räumen ihm parallel eine starke öffentliche Präsenz ein. Und es gibt Modelle, die beides vereinen. Bei Raiffeisen trifft Letzteres zu.

Bei diesem Modell sind interne Konflikte vorprogrammiert.

Konfliktpotenzial ist in der Tat immer wieder einmal vorhanden. Vor allem gibt es bankintern stets sehr viele, die es besser wissen. Aber wenn es hart auf hart kommt, hat in der Regel der Chefökonom das letzte Wort. Zumindest was die ökonomische Expertise betrifft.

Chefökonomen von Banken treten in den letzten Jahren verstärkt an die Öffentlichkeit. Weshalb?

Wir befinden uns seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor fünf Jahren in unsicheren Gewässern. Daher haben Anleger ein verstärktes Informationsbedürfnis. Und Chefökonomen wird in der Regel die Kompetenz zugesprochen, die künftige Finanzmarktsituation möglichst umfassend zu beschreiben.

Für 2014 veranschlagen Sie ein Schweizer BIP-Wachstum von 2,6 Pro-zent. Dies ist 0,5 Prozent höher als der Durchschnitt der Prognosen.

Es gibt immer zwei Komponenten für eine Prognose: zum einen das rein quantitative Bild, zum anderen glauben wir aber, dass die Löhne überdurchschnittlich steigen dürften und auch die Kapitaleinkommen zunehmen werden. Und das weltwirtschaftliche Gesamtbild hat sich stark aufgehellt, was der Schweiz mit ihrer starken internationalen Ausrichtung helfen wird. Diese Komponenten rechtfertigen unseren Zuschlag.

Doch eine Prognoseanpassung ist gerade in Ihrem Fall wahrscheinlicher.

Ich vertraue meinen Modellen und wähne mich in sicheren Gewässern. Eine Prognose zu ändern, ist eine taktische Niederlage für jeden Ökonomen, egal, ob sie angehoben oder gesenkt wird. Aber eine Anpassung nach unten ist medial natürlich schwieriger zu kommunizieren, weil Medien auf "Bad News" anspringen.

Wie sind Sie privat investiert?

Ich bin selber in diversen Immobilien investiert, die im Schnitt 4 bis 5 Prozent Rendite pro Jahr abwerfen. Ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass Immobilieninvestments lukrativ bleiben – im Gegensatz zum Aktienmarkt. Ich glaube nicht, dass der SMI in den kommenden Monaten grosses Aufwärtspotenzial bietet.

Keine Angst vor einer Immoblienblase?

Überhaupt nicht. Wir haben eine Immobilienblase, aber die wird nicht platzen. Erstens werden die Zinsen kaum über Nacht explodieren, zweitens ist die Tragbarkeit in den meisten Fällen gewährleistet. Und drittens befinden wir uns nicht in einer Spekulationsblase, sondern einem nachfragegetriebenen Immobilienboom.

Immobilien-Investments sind sehr kapitalintensiv.

Das stimmt, aber es gibt mit Immobilienfonds eine Alternative. Privatanleger können so mit relativ wenig Kapital am Immobilienmarkt partizipieren und gleichzeitig die notwendige Diversifikation erzielen.


Martin Neff ist seit April 2013 als Chefökonom bei Raiffeisen verantwortlich für die Analyse der makroökonomischen Rahmenbedingungen und er vertritt die Bank in volkswirtschaftlichen Fragen gegenüber der Öffentlichkeit. Zuvor war er Chefökonom bei der Credit Suisse Schweiz. Er ist Experte für den Schweizer Immobilienmarkt.