Ein einzigartiges Börsenjahr geht bald zu Ende: Auf den historischen Corona-Crash im März mit dem wohl kürzesten Bärenmarkt aller Zeiten folgte eine Rekord-Aufholrally, wie sie kaum einer erwartet hatte. Hinzu kamen Firmen-Skandale wie Wirecard oder Aktien von Pleite-Unternehmen, die gestern in den Himmel gejubelt wurden und am nächsten Tag in den Keller rauschten. Wer 2020 an der Börse dabei war, hat Dinge erlebt, die normalerweise wohl für ein ganzes Jahrzehnt reichen.

Der Vorteil: Anleger können aus diesem verrückten Börsenjahr 2020 wichtige Erkenntnisse mitnehmen, die hilfreich für das ganze Börsenleben sind. Fünf Dinge, die Anleger aus diesem Jahr mitnehmen können.

Lehre 1: Im Crash die Basisinvestments halten und keine Panikverkäufe tätigen

Börsianer haben es im März dieses Jahres wahrlich nicht einfach gehabt. Angesichts der heftigen Kurstürze an den Börsen konnte man zwischenzeitlich den Eindruck gewinnen, die Welt würde zugrunde gehen. Bei Tagesverlusten von bis zu zehn Prozent kann auch der abgeklärteste Langfrist-Investor in Panik verfallen und plötzlich den Verkaufsknopf drücken. Wenn sich vor einem der tiefe Abgrund auftut, helfen auch die vielen Ratgeber nicht mehr, in denen es immer wieder heisst: Im Crash cool bleiben und keine Panik-Verkäufe tätigen.

Doch das Börsenjahr 2020 zeigte mal wieder, dass es die beste Variante ist, auf seinen Basisinvestments sitzen zu bleiben, wenn an den Märkten das Gewitter tobt. Zur Erinnerung: Der Swiss Performance Index (SPI) notiert derzeit bei knapp 13'000 Punkten – und damit praktisch exakt auf dem Stand von Anfang Jahr. Die US-Märkte befinden sich sogar wieder auf ihren Allzeithochs. Heisst: Wer 2020 ruhig geblieben ist, verlor - gemessen am Gesamtmarkt - praktisch nichts. Wer aber nervöse Finger bekommen hat und den Verkaufsknopf drückte, konnte teils böse bestraft werden. 

Lehre 2: Kurzfristige Aktienkursprognosen sind unmöglich

Jeder Anleger träumt davon, jene Zauberformel zu kennen, die einem sagt, wann der beste Zeitpunkt ist, eine Aktie zu kaufen - und wann man verkaufen sollte. Die Wahrheit ist aber: So eine Formel gibt es nicht. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob die Kurse weiter fallen oder wann der perfekte Zeitpunkt zum Wiedereinstieg ist. Sogenanntes Market-Timing funktioniert in den seltensten Fällen. Wer mitten im Crash panikartig sein Depot leert und seine Aktien zu Schleuderpreisen auf den Markt wirft, dem ist meist nicht bewusst, dass ihm die schwerste Entscheidung noch bevorsteht: Wann steige ich wieder ein?

Die Rekord-Erholungsrally Ende März bis April hat praktisch jeden Experten auf dem falschen Fuss erwischt. Angesichts des Corona-bedingten wirtschaftlichen Komplett-Stillstands und den düsteren Prognosen im Hinblick auf die Konjunktur konnte niemand mit einer derartigen V-Erholung an den Börsen rechnen. Da viele den Wiedereinstieg verpassten, folge im Frühling das, was Marktbeobachter als die "meistgehassten Rally aller Zeiten" bezeichnetet. Die Lehre daraus: Market-Timing am besten gar nicht erst versuchen. Den perfekten Ausstiegs- beziehungsweise Einstiegspunkt zu erwischen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Lehre 3: Nur in Firmen investieren, deren Geschäftsmodell man versteht

Bei Börsen-Crashs ruhig zu bleiben, ist natürlich einfach gesagt, aber im Ernstfall schwierig umzusetzen. Doch im Corona-Crash konnte die Einhaltung einer relativ trivial klingenden Grundregel dabei helfen, Ruhe zu bewahren: Wer als Anleger nur in Firmen investiert, deren Geschäftsmodell er kennt und von denen er selbst überzeugt ist, kann eine Krise weitaus entspannter aussitzen. Wer eine Kaufentscheidung nur aus reinem Bauchgefühl getroffen hat, kam beim Corona-Crash ordentlich ins Schwitzen.

Die Krise hat gezeigt, dass Firmen, die auf stabilen Füssen stehen, bei einem Crash vorübergehend zwar ebenfalls mit nach unten gezogen werden. Anschliessend können sich solche Titel allerdings relativ rasch wieder aus ihren Tiefs befreien. So konnten sich in der Schweiz Aktien wie die des Duft- und Aromahersteller Givaudan oder des Bauzulieferers Sika – beides keine typischen Corona-Profiteure – nach massiven Abverkäufen im März schnell wieder erholen und sogar starke Kursgewinne verzeichnen. Heisst: Stimmt das Geschäftsmodell und ist die Bilanz gesund, lässt sich der Crash als Aktionär entspannt aussitzen.

Lehre 4: Auf kurzfristige Hypes aufspringen, kann sehr teuer werden

2020 schlug die Stunde der sogenannten Robinhood-Trader. Der Corona-Crash lockte neue, meist unerfahrene Händler in den Markt. Angestachelt durch Beiträge und Diskussionen in Foren stürzten sie sich auf einzelne Titel, deren Kurse anschliessend in die Höhe schossen. Je höher der Kurs solcher Titel steigt, desto mehr juckt es naturgemäss anderen Anlegern in den Fingern, auch noch auf den Zug aufzuspringen – auch wenn sich der Hype um die Aktie fundamental kaum erklären lässt.

An Absurdität kaum zu überbieten ist der Fall Hertz: Nachdem der US-Autovermieter im Mai Insolvenz anmelden musste, rauschte die Aktie folgerichtig in den Keller. Doch dann folgte eine fundamental nicht erklärbare Rally mit 900 Prozent Kursanstieg. Robinhood-Trader hatten sich auf die Titel des gefallenen Autoriesen eingeschossen, liessen sie aber nach etwa 10 Tagen wieder fallen wie eine heisse Kartoffel. Hertz ist nur ein Beispiel. Mit Aktien von Kodak, Nikola Motor, American Airlines und vielen anderen haben Robinhooder ähnliches angestellt.

Lehre 5: Keine Position im Depot sollte «too big to fail» sein  

Es steht in jedem Börsen-Ratgeber dieser Welt und trotzdem machen Anleger immer wieder den gleichen Fehler: Sie diversifizieren ihr Depot nicht. Das heisst, sie setzen zu viel Geld in wenige oder gar nur eine Aktie. Dabei hat 2020 uns Anlegern mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass keine Position im Depot so gross sein sollte, dass ein Totalverlust das Gesamt-Portfolio ins Wanken bringt.

Wie wichtig diese Regel ist, zeigte der Wirecard-Skandal im Juni. Der an der Börse gefeierte Zahlungsdienstleister aus Deutschland war auch bei Schweizer Anlegern ein äusserst beliebter Titel. Doch als im Juni ans Licht kam, dass Wirecard jahrelang Bilanzen frisiert hatte, standen jene Aktionäre, die (zu) gross auf Wirecard gesetzt hatten, vor einem Scherbenhaufen. Für Positionen im Depot gilt also dasselbe wie für Grossbanken: Sie dürfen nicht "too big to fail" sein.