"Das Urteil gegen Vincenz ist hart, aber angemessen", titelte der "Tages-Anzeiger" kurz nach der Urteilseröffnung. Die Freiheitsstrafe von drei Jahren und 9 Monaten sei gerechtfertigt. Vincenz habe in der Vergangenheit selbst immer wieder die moralisch verwerflichen Millionenbezüge der Grossbanken angeprangert.

Dabei habe er jeweils stolz gesagt, dass es dies bei Raiffeisen nicht gebe. "Das stimmte für fast alle, ausser für Vincenz selbst, wie man jetzt weiss." Das Urteil ist für den "Tages-Anzeiger" also hart, aber angesichts der Deliktsumme auch fair.

Auch die "Neue Zürcher Zeitung" stuft das Urteil als hart ein. Für ein Schlussfazit sei es zwar noch zu früh, weil der Fall ohnehin ans Obergericht weitergezogen werde. Das Urteil vom Mittwoch sei auf jeden Fall aber ein abschreckendes Signal an Wirtschaftsführer, die Geschäfte im Graubereich tätigen und diese ihren Arbeitgebern nicht offenlegen würden.

Auch für "20 Minuten" fiel das Urteil überraschend hart aus. Er habe eigentlich eine bedingte oder zumindest eine kürzere Freiheitsstrafe erwartet. Die drei Jahre und 9 Monate unbedingt seien überraschend, er habe nie damit gerechnet, sagte der zuständige Journalist. Der "Blick" wiederum beurteilt das Urteil kurz und knapp als "happig".

Laut der "Aargauer Zeitung" hat das Zürcher Bezirksgericht Pierin Vincenz, Beat Stocker und die drei Mitbeschuldigten hart angefasst. "Nun wird das Obergericht entscheiden müssen, ob die erste Instanz dem empörten Volk nicht doch etwas zu sehr nach der Zunge geredet hat", so der Kommentar der "Aargauer Zeitung".

Auch für das Onlineportal Watson kam die Höhe der Strafe überraschend: "Nach der 50-minütigen Urteilsverkündung waren sich die meisten Beobachter einig. Ein derart deutliches Urteil gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz hatte man nicht erwartet. Das Bezirksgericht Zürich ist in weiten Teilen der Argumentation der Staatsanwaltschaft gefolgt. Damit handelt es sich nicht nur um eine symbolische Verurteilung, um Schadenersatz wegen der langen Untersuchungshaft zu vermeiden, wie im Vorfeld spekuliert wurde. Es scheint, als habe das Gericht ein Exempel gegen die Abzockermentalität in der Wirtschaft statuieren wollen. Ob die Urteile die Berufung überstehen und Vincenz sowie Beat Stocker wirklich ins Gefängnis müssen, wird sich zeigen."

Gegenüber Blick-TV erklärte der ehemalige Berner Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz, dass er eine bedingte Haftstrafe erwartet habe. Die Staatsanwaltschaft habe in der mündlichen Verhandlung eigentlich relativ wenig aus der Anklageschrift bewiesen. Das Gericht habe vermutlich aufgrund der 500 Bundesordner mit schriftlichen Beweisen entschieden. Kunz stufte die Erfolgschancen der Berufung als nicht schlecht ein. Er gehe davon aus, dass das Urteil des Obergerichts für Vincenz besser ausfallen werde.

(AWP)