Vor allem Frankreich und Grossbritannien drohen sich in regelmässigen Abständen gegenseitig, dass sie einem ausgehandelten Vertrag nicht zustimmen würden. Angesichts des sehr geringen Anteils der Fischerei am Bruttoinlandsprodukt sowohl des Königreichs (geschätzte 0,1 Prozent) als auch der EU wundert die Härte der Auseinandersetzung.

Aber dafür gibt es drei Gründe: erstens gibt es nordwestliche EU-Staaten, die viel stärker betroffen sind als andere etwa im Südosten der EU. Zweitens hat Fischerei sowohl in Grossbritannien als auch Frankreich eine besondere politische Bedeutung, die weit über die einzelnen Zahlen hinausgeht. Und drittens glauben beide Seiten, gerade bei diesem Thema die grösseren Druckmittel in der Hand zu haben.

Streit um die Menge des Fisches

Den Gesamtwert der Fischfänge der EU-27 in britischen Gewässern wird auf etwa 650 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Dem stehen Fänge der britischen Fangflotte in EU-Gewässern von derzeit etwa 100 Millionen Euro gegenüber. Deutsche Fischer ziehen aber rund 60 Prozent ihrer Fänge an Schwarmfischen wie Hering oder Makrelen aus britischen Gewässern. Fast der gesamte von deutschen Fischern gefangene Nordseehering - mindestens 90 Prozent - stammt derzeit aus diesen Gebieten.

Die britische Seite hat gefordert, dass die EU bis zu 80 Prozent der Fanquoten an die Briten abgibt. Die EU hat ihrerseits nur eine Kürzung von bis zu 20 Prozent angeboten und lehnt zudem die von London geforderte jährliche Neuverhandlung der Quoten ab. EU-Fischer brauchten Planungssicherheit, lautet das Argument. Zudem gehe es um mehr als 100 Fischsorten, ein jährliches Neuverhandeln wäre also viel zu aufwendig.

Politische Symbolik

"Als unabhängiger Küstenstaat wollen wir die Kontrolle über unsere eigenen Gewässer haben", beschreibt der britische Aussenminister Dominic Raab die Position des Königreichs. Und damit hat er schon deutlich gemacht, wieso gerade für die Brexiteers, also die Befürworter eines britischen Austritts aus der EU, dieses Thema symbolbesetzt ist. Bei vielen Austrittsbefürwortern schwingt nach Einschätzung von EU-Diplomaten der Traum vom alten britischen Meeres-Empire mit. Deshalb ist eine drastische Kürzung der bisherigen Fangquoten für EU-Fischer ein wichtiges Thema.

Auf EU-Seite sieht vor allem Frankreich wenig Spielraum für Kompromisse. Präsident Emmanuel Macron, der alle Blicke auf seine Wiederwahl 2022 richtet, führt ohnehin mit zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen eine harte Auseinandersetzung. Fischer gelten wie Bauern dabei als besonders hart und entschlossen. Und die Franzosen sind stolz auf ihre Agrar- und Meeresprodukte. Aber hinter Frankreich verstecken sich noch zahlreiche andere EU-Staaten, die nicht so lautstark mit Veto drohen, für die Fischfang in britischen Gewässern aber ebenfalls wichtig ist - nicht zuletzt Deutschland. Hier hat Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner immer wieder betont, dass EU-Fischer weiter Zugang zu britischen Gewässern haben müssten.

Gegenseitige Drohungen

Die britische Seite glaubt, in einer sehr guten Verhandlungsposition zumindest auf diesem Feld der Gespräche zu sein. Denn auf den ersten Blick scheint logisch, dass ein eigenständiger Staat selbst über seine Seegebiete bestimmen kann. London gelang zudem Ende September ein Überraschungscoup, als sich die britische Regierung mit Norwegen auf Fangquoten einigte. Das sorgte in der EU für massive Verärgerung über die Regierung in Oslo. Denn Norwegen gehört - obwohl kein EU-Mitglied - zum EU-Binnenmarkt und unterlief so die Verhandlungsposition der Europäer. Das Abkommen zeige, dass die EU-Forderungen gegenüber Grossbritannien masslos seien, betonte deshalb der Dachverband der Vereinigungen britischer Fischer.

Paradoxerweise glaubt aber auch die EU, sehr gute Karten zu haben. Denn während Grossbritannien die Fischfanggründe kontrolliert, braucht es als kleinerer Partner eben einen Gesamtabschluss der Verhandlungen. Ohne Fischerei nutzen also Zugeständnisse oder Verhandlungserfolge in anderen Bereichen nichts. Zudem wollen die britischen Fischer ihren Fisch im grossen EU-Binnenmarkt mit 450 Millionen Verbrauchern verkaufen - ihrem mit Abstand grössten Absatzgebiet. Das wird aber nicht möglich sein, wenn nicht auch EU-Interessen berücksichtigt würden, droht die EU.

(Reuters)