Der Euro hat zum Franken Ende Juli ein Wechselkursverhältnis von bis zu 1,1538 erreicht, soviel wie seit der Abschaffung der Kursuntergrenze im Januar 2015 nicht mehr. Bei allen Diskussionen um weitere Kursanstiege, mögliche Nationalbankinterventionen und heimliche Ober- und Untergrenzen ist auch das Thema Kaufkraftparität wieder vermehrt ins Zentrum gerückt. Oder wie der Terminus auf Englisch heisst: die Purchasing Power Parity (PPP).

Was genau ist dies und wie steht diese Grösse im Verhältnis zu den aktuellen Währungsbewegungen? Das Wichtigste auf einen Blick.

Was genau ist die Kaufkraftparität?

Längerfristig sollte sich der Wechselkurs eines Landes oder eines Währungsraumes um die Kauftkraftparität bewegen. Ökonomen vergleichen dazu Warenkörbe und Dienstleistungen in diesen Räumen. Kauftkraftparität hilft ihnen zu beurteilen, ob eine Währung über- oder unterbewertet ist. Die Parität besteht dann, wenn die Produkte für den gleichen Preis erworben werden können. Zwei Währungen haben somit die gleiche Kaufkraft. Desweitern dient die Kaufkraftparität auch zur Betrachtung des Wohlstands in einem Land im Verhältnis zu anderen Ländern:

Lässt sich dies anhand eines Beispiels erklären?

Angenommen, ein iPhone kostet in Deutschland umgerechnet 40 Prozent weniger als in der Schweiz. Dies würde Anreize schaffen, iPhones aus Deutschland im grossen Stil in der Schweiz zu verkaufen. Durch die grössere Nachfrage würde mit der Zeit aber auch der Preis für iPhones in Deutschland in die Höhe gehen. Und gleichzeitig würde die verstärkte Exportnachfrage nach iPhones auch mehr Nachfrage nach Euro auslösen – mit der Folge, dass der Euro stärker und der Franken schwächer würde.

Sowohl die relative Preisentwicklung für iPhones als auch der Euro-Franken-Wechselkurs würden in diesem Gedankenexperiment solange reagieren, bis iPhones umgerechnet gleich viel kosten würden und somit keine Anreize mehr bestünden, iPhones in die Schweiz zu exportieren.

Ist diese Theorie allgemein anerkannt?

"Relative Preisentwicklung und der Wechselkurs stehen langfristig in einem engen Verhältnis", sagt Felix Brill, Ökonom und CEO des Beratungsunternehmens Wellershoff & Partners. Das Verhältnis der Kaufkraft wirke dabei wie eine zugrundeliegende Kraft. Aus seiner Sicht ist die Kaufkraftparität in der wissenschaftlichen Erfahrung einer der wichtigsten Faktoren, der Währungsentwicklungen langfristig prägt und erklärt.

"Die Kaufkraftpärität ist ein wichtiger Langfrist-Faktor für Währungen, aber für uns nicht der einzige", sagt Marktstratege Florian Weber von der Bank J. Safra Sarasin. Für den fairen Wert eines Währungspaares wichtig seien auch Grössen wie das Bruttoinlandprodukt, die Zinsdifferenz oder auch politische Risiken.

Wenig beachtet wird die Kaufkraftparität von dagegen von Thomas Steinemann, Anlagechef der Bank Bellerive und Ökonom. "Sie hat nach wie vor eine gewisse Bedeutung im sehr langfristigen Bereich, also zehn Jahre -  aber nützt das jemandem?" Für den kurz- und mittelfristigen Bereich sei die Kaufkraftparität als Richtgrösse untauglich.

Wo liegt die Kaufkraftparität bei Euro-Franken?

Ökonomen geben die Kaufkraftparität mithilfe einer Bandbreite an. Wie bei Analystenprognosen zu Unternehmenszahlen operieren Ökonomen mit unterschiedlich eingeschätzten Parametern, etwa bei der zugrundeliegenden Inflationsrate. Die Kaufkraftparität zwischen Euro und Schweizer Franken sieht Wellershoff & Partners in einer Bandbreite von 1,16 bis 1,30, bei J. Safra Sarasin erstreckt sich diese zwischen 1,10 und 1,35, mit einem Mittelwert bei 1,23.

Die Entwicklung von Euro-Franken-Kurs (blau) im Verhältnis zur Kaufkraftparität (rot). Im Januar 2015 weicht der Währungskurs als Reaktion auf die Aufhebung der Kurs-Untergrenze deutlich von der Bandbreite der Kaufkraftparität ab. (Grafik: Wellershoff & Partners).

In dieser Betrachtung befindet sich der heutige Euro-Franken-Wechelskurs aber bereits in einem Bereich, wo von einer neutralen Bewertung gesprochen werden kann. Die Kaufkraftparität relativiert somit Aussagen, der Franken sei zum Euro deutlich überbewertet, wie sie nach wie vor die Nationalbank ins Feld führt. Auch die Ansicht der Schweizer Gewerkschaften, der faire Wert des Euro-Franken-Kurses liege mindestens bei 1,30, lässt sich unter dieser Betrachtung nicht halten.

Lässt sich der Euro-Franken-Kurs voraussagen?

Nein. So liegt das Band für die Kaufkraftparität der Ökonomen von J. Safra Sarasin zwar zwischen 1,10 und 1,35, aber Kursziel für das Euro-Franken-Verhältnis bis Ende Jahr bei 1,10. Auch Verfechter der Kaufkraftparität weisen darauf hin, dass konjunkturelle und politische Ereignisse kurzfristig stärker ins Gewicht fallen und so eine "Fehlbewertung" bewirken.

Allerdings fühlen sie sich wiederum bestätigt durch die jüngsten Entwicklungen. Dollar und der Franken waren Anfang Jahr die am stärksten "fehlbewerteten" der grossen Währungen: Der Dollar wegen der hohen Erwartungen an die Trump-Präsidentschaft, der Franken als Fluchtwährung wegen grosser politischer Unsicherheiten. Dass der Dollar zum Euro aber seit Anfang Jahr vom Markt unerwartet 13 Prozent ab- und der Euro zum Franken 6 Prozent aufgewertet hat, wird als Zeichen interpretiert, dass die unterschweligen Kräfte im Sinne der Kaufkraftparität wirken.

Ist der berühmte Big-Mac-Index das gleiche?

Das genau gleiche nicht. Der Big-Mac-Index, der vom englischen Wochenblatt "Economist" seit 1986 veröffentlicht wird, spiegelt in der Tat die Kaufkraft von verschiedenen Ländern, denn das gleiche Produkt - ein Big Mac von McDonald's - existiert fast überall auf der Welt gleich. Im Unterscheid zur Kaufkraftheorie, die mit Warenkörben arbeitet, wird aber nur ein Produkt verglichen.

Big-Mac-Index in ausgewählten Ländern (Grafik)

Nichtsdestrotrotz ist der Bic-Mac-Index ein leicht verständliches und eindrückliches Barometer, das Unterschiede in der Kaufkraft offenbart. Mit Stand Juli 2017 ist der Preis eines Big Mac am höchsten in der Schweiz (6,74 Dollar), gefolgt von Norwegen (5,91 Dollar) und Schweden (5,82 Dollar). Am billigsten ist der kalorienreiche Fast-Food-Liebling zu haben in der Ukraine (1,70 Dollar), Ägypten (1,75 Dollar) und Malaysia (2 Dollar).