Wir alle sehen es seit Wochen an den Preistafeln der Zapfsäulen: Die Preise für Benzin sind im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine sprunghaft gestiegen. In der Schweiz verteuerte sich der Sprit um rund 25 Prozent – von unter 1,70 Franken auf über 2 Franken. Grund sind die gestiegenen Ölpreise. Die geopolitische Krise hatte den Preis für die Nordsee-Sorte Brent in der vergangenen Woche auf zwischenzeitlich bis zu 140 Dollar nach oben schiessen lassen. 

Rohöl, Hauptbestandteil von Benzin, macht fast 70 Prozent des Preises für Normalbenzin an der Tankstelle aus. Es überrascht daher nicht, dass der Preis für eine Gallone Normalbenzin einem ähnlichen Trend folgt wie der des Rohöls.

Doch nach seinem Rekordanstieg von letzter Woche ist der Ölpreis zuletzt wieder auf fast 100 Dollar zurückgegangen, ohne dass dies Auswirkungen auf den Benzinpreis gehabt hätte. Wie lässt sich ein solcher Zusammenhang erklären? Das Bankenhaus Mirabaud macht dafür vor allem die Verkäufermacht auf dem Benzin-Markt verantwortlich. 

Vergleich: Preisentwicklung der US-Benzinpreise und Rohöl (Sorte Brent) 

Grafik: Mirabaud 

So hätten Händler die Möglichkeit, Preisänderungen auszunutzen, um einen höheren Gesamtgewinn zu erzielen, schreiben Mirabaud-Analysten in einem am Freitag veröffentlichten Kommentar: "In der Vergangenheit haben die Einzelhändler die Benzinpreise bei steigenden Ölpreisen erhöht, um eine konstante Gewinnspanne zu erzielen." Wenn die Preise jedoch fielen, passten die Einzelhändler die Preise langsamer nach unten an, weil die Konsumenten bereits an höhere Preise gewöhnt seien.

Benzinpreis steigt schnell, fällt aber langsam

Es gibt also eine wirtschaftliche Komponente, nämlich die Wahrung der Gewinnspannen, aber auch einen psychologischen Aspekt. Die Händler machen es sich zunutze, dass sich die Konsumenten rasch an hohe Preise gewöhnen. 

Die St. Louis Fed hat die Frage der Tankstellenpreise in den USA eingehend untersucht. Ihre Beobachtungen lassen auch in Europa anwenden. Die Untersuchungen zeigten, dass sich die Benzinpreise schneller an Änderungen der Ölpreise anpassen, wenn die Benzinpreise im Verhältnis zum Ölpreis relativ niedrig sind, als wenn die Benzinpreise im Verhältnis zum Ölpreis relativ hoch sind. Heisst: Steigenden Ölpreisen folgt der Benzinpreis relativ schnell, während er sich fallenden Ölpreisen eher langsam anpasst. 

Laut den Mirabaud-Analysten sind aktuell zudem Störungen in der Versorgungskette verantwortlich für die hoch bleibenden Benzinpreise. Auswirkungen eines Hurrikans oder eines Taifuns auf die Raffinerien, würden sich ebenfalls auf die Weitergabe von Ölpreisen auswirken können, da Raffinerien die Preise zur Steuerung ihrer Vorräte nutzen könnten. Da Benzin knapp sei, so die Autoren, könnten die Raffinerien mit einer erwarteten Benzinknappheit umgehen, indem sie die Preise erhöhen, um so den Verbrauch zu senken.

Doch auch wenn die Benzinpreise langsamer fallen als sie steigen, betont Mirabaud, dass sich die Preise für Rohöl und Benzin langfristig im Gleichschritt bewegen.