Vor einigen Monaten ist Wells Fargo aus den Reihen der US-Banker ausgeschert, die versprochen hatten, auf umfangreiche Entlassungen während der Pandemie zu verzichten.  Eine wachsende Anzahl von Kreditinstituten hat seither begonnen, Stellen zu streichen. 

Auch ist die Einstellungsaktivität im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum stark zurückgegangen. Anzeichen für ein Nachlassen dieser Tendenzen sind nicht zu erkennen. Banker, die jetzt ihren Job verlieren, werden es schwerer haben, wieder einzusteigen.

Zahl der Beschäftigten sinkt um 10 Prozent

“Es gibt zu viele Mitarbeiter im Finanzdienstleistungs- und Bankensektor”, sagt Alan Johnson, Leiter der Vergütungsberatungs-Gesellschaft Johnson Associates. Er rechnet damit, dass die Zahl der Beschäftigten in der Branche bis Mitte 2021 gegenüber dem Niveau vor der Pandemie um 10 Prozent sinken wird. “Im nächsten Jahr werden wir nur sehr wenige Einstellungen sehen. Aber es wird einige Entlassungen geben.”

Viele Kreditinstitute haben den Rotstift bereits angesetzt. Die Entlassungen betreffen zwar eine breite Spanne von Bereichen. Sie konzentrieren sich jedoch am stärksten auf traditionelle Bankdienstleistungen, auf die Kunden mittlerweile online zugreifen, statt in die Filiale zu gehen, sowie auf Back-Office-Funktionen, die automatisiert werden können.

Durch Fusionen von Tochterunternehmen wie Vermögensverwalter und Discount-Broker, die einem akuten Kostendruck ausgesetzt sind, werden ebenfalls Arbeitsplätze vernichtet.

Über 1000 Stellenstreichungen

In den letzten Wochen hat Wells Fargo mehr als 700 Stellen im Commercial Banking gestrichen und Dutzende von Festverzinslichen-Analysten freigesetzt. JPMorgan hat den Abbau von Hunderten von Arbeitsplätzen gestartet, darunter etwa 80 in seiner Verbrauchersparte. Goldman Sachs hat mit der Streichung von rund 400 Positionen, einschliesslich Backoffice-Funktionen, begonnen, die in grössere profitable Geschäftsbereiche zusammengefasst worden waren.

Es wird jedoch erwartet, dass Wells Fargo, der grösste Arbeitgeber unter den US-Banken, in den kommenden Jahren noch viel weiter geht und sich schliesslich von zehntausenden Mitarbeitern trennen wird. Die Bank hat angekündigt, die Filialen im Rahmen der Kostensenkungen weiter zu reduzieren.

Letzter Tag?

Eine Schalterbeamtin von Wells Fargo berichtet, sie frage sich jeden Morgen beim Aufwachen, ob es ihr letzter Tag in der Bank sein werde. Ein Manager hatte ihr gesagt, dass sie entlassen werden würde, aber als ihre Filiale geschlossen wurde, wurde sie vorübergehend einer anderen Zweigstelle zugewiesen, so sei sie weiter im Ungewissen.

Sie beschrieb die Situation als frustrierend und deprimierend: Sie durchforste ständig die internen Stellenausschreibungen der Bank, um eine andere Position zu finden, aber es gebe keine in der Nähe ihres Wohnortes. Kollegen, die bereits anderswo nach Arbeit suchen, haben ihr gesagt, dass da draussen nichts zu finden sei.

Weniger freie Stellen

Arbeitnehmer, denen von grossen Banken gekündigt wurde, könnten Schwierigkeiten haben, einen Job bei einem kleineren Konkurrenten zu finden, sagt Tom Szmanda, Präsident der Personalfirma Symicor Group. Mitarbeiter grösserer Banken spezialisieren sich in der Regel auf bestimmte Bereiche, während kleinere Wettbewerber nach einer breiteren Erfahrung im Bankengeschäft suchen, sagte er. Die freien Stellen sind ebenfalls begrenzt, da die meisten Kreditinstitute die Belegschaft nicht aufstocken wollen.

Es ist besonders schwierig für Banker in höheren Positionen. Für sie hat sich die Zeit, bis sie einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, ungefähr verdoppelt verglichen mit der Lage vor der Pandemie, sagt er. Und diejenigen, die Arbeit finden, müssen in der Regel ein niedrigeres Gehalt in Kauf nehmen.

Laut dem Beschäftigungsportal Indeed.com haben sich die freien Stellen im Bank- und Finanzwesen drastisch abgeschwächt. Die Daten zu Trends bei Stellenausschreibungen zeigen, dass die Aktivität Ende Oktober um 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken ist, verglichen mit einem Rückgang des gesamten Arbeitsmarktes um 14 Prozent.

Lichtblicke im Hypothekengeschäft

Eine Ausnahme bildet das Hypothekengeschäft, bei dem die Banken aufgrund der steigenden Nachfrage nach neuen Häusern und der Refinanzierung von Hypotheken das Personal aufstocken. “Das Hypothekengeschäft boomt - anders kann ich es nicht bezeichnen”, sagte Jeramy Kaiman, Leiter der professionellen Rekrutierung in den westlichen USA bei der Personalfirma Adecco. “Sämtliche Kandidaten erhalten innerhalb von 24 Stunden, wenn sie auf dem Markt sind, drei bis fünf Angebote.”

Ein Silberstreifen für Jobsuchende ist, dass die Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent der Branche im letzten Monat viel niedriger ist als in Sektoren, die von der Pandemie stärker betroffen sind. So kommen beispielsweise Gastgewerbe und Restaurants laut der Behörde für Arbeitsstatistik auf 15,9 Prozent. Die Konkurrenz um freie Stellen ist also vorerst nicht zu hart.

Das dürfte sich jedoch in den kommenden Monaten verschlechtern, erwartet Berater Johnson. “Die Firmen stellen nicht auf dem Niveau wie zuvor ein”, sagte er. Der Verlauf der wirtschaftlichen Erholung “ist so unbekannt und so ungewiss und bedeutsam - für entlassene Mitarbeiter sind dies sehr schwierige Rahmenbedingungen”.

(Bloomberg)