Vor der Finanzkrise 2007/08 schien die Welt für die Notenbanker noch in Ordnung: Geriet die Wirtschaft ins Stocken, konnte kurzerhand der Leitzins gesenkt werden, was in der Regel wieder Schwung in die Wirtschaft brachte. Im umgekehrten Fall - in Phasen einer boomenden Wirtschaft - konnte mit einem Leitzinsanstieg einer Überhitzung entgegengewirkt werden.

Doch als das Zinsniveau die Nulllinie erreichte, stiess die herkömmliche Geldpolitik an ihre Grenzen. Stattdessen kauf(t)en die Zentralbanken in den USA, Japan, Grossbritannien und vor allem in der Eurozone Anleihen von Staaten und Unternehmen zusammen, um so Liquidität ins System zu pumpen und die Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen. Auch das Tabu von Negativzinsen wurde gebrochen.

Es handelt sich bei diesen Zentralbanken-Rezepten - das sollte nicht vergessen werden - um unerprobte Experimente, von denen bei Einführung niemand so genau wusste, was die Nebenwirkungen sein würden. Nun sind aufgeblähte Bilanzen der Notenbanken, Preisblasen an den Märkten und leidende Sparer sowie Finanzinstitute die Folgen dieser Politik. 

Mit gewissen Nebenwirkungen könnte die Wirtschaft leben, wenn das Medikament denn auch wirkte: Das tut es aber (noch?) nicht. "Wir leben in einer Zeit der geldpolitischen Ohnmacht", sagte kürzlich der streitbare amerikanische Ökonom Paul Krugman und meint damit die zu tiefe Inflation. Krugman hat mit seiner Feststellung völlig Recht. Denn wie stark die Zentralbanken eine Teuerung auch herbeibeschwören wollen: Sie können ihr Inflationsziel von 2 Prozent nicht mehr erreichen. Der Euroraum weist seit längerer Zeit um 0 Prozent Inflation auf. Japan und die Schweiz befinden sich sogar im negativen Territorium.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Geldpolitik der Zentralbanken ist gescheitert. Und das ist sehr beängstigend. Was passiert, wenn plötzlich eine weitere Wirtschaftskrise hereinbricht? Die Notenbanken könnten gar nicht mehr reagieren. Die Zinsen befinden sich schon auf dem Tiefpunkt, eine weitere Absenkung ins negative Territorium würde das erträgliche Mass überschreiten. Ausserdem sind Märkte bereits mit Liquidität überflutet.

Es muss ein Weg aus dieser Sackgasse gefunden werden. Die Notenbanken der Industriestaaten sollten sich ernsthaft die Frage stellen, ob das von ihnen verfolgte Inflationsziel von 2 Prozent noch zeitgemäss ist. Denn es hat sich in den Köpfen der Notenbanker festgesetzt, dass eine 2-Prozent-Inflation für eine Stabilisierung der Wirtschaft am optimalsten ist. Das ist nicht zwingend der Fall.

Immerhin scheinen die Zentralbanker inzwischen auch selbst dieses Ziel anzuzweifeln: In Jackson Hole - dem "Davos der Zentralbanken" - wurde Ende August eine geldpolitische Neuausrichtung diskutiert. Ein US-Notenbanker schlug vor, das Inflationsziel höher zu setzen. Dadurch hätte die Geldpolitik wieder mehr Handlungsspielraum bei der Bekämpfung zukünftiger Krisen. Mit höheren Inflationszielen müsste die derzeit stockende Inflation angeschoben werden können - im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Sollte diese Anpassung nicht die erwünschte Wirkung erzielen, wäre ein noch radikalerer Umbruch möglich: Weg vom strikten Inflationsziel, hin zu einer Zielsetzung für das Wirtschaftswachstum. Die Zentralbank müsste sich dann nicht mehr um kurzfristige Preisschwankungen kümmern, könnte sich ganz auf ein optimales Wirtschaftswachstum fokussieren. So wie das die US-Notenbank schon ansatzweise tut.

Eine Strategieanpassung bei Notenbanken wäre nichts Aussergewöhnliches. Es ist viel eher erstaunlich, dass die jetzige Taktik so lange standhielt: Es war ihm Jahre 1989, als die neuseeländische Notenbank mit einem konkreten Inflationsziel von 2 Prozent für einen radikalen Umbruch unter den Notenbanken sorgte. Nach und nach übernahmen andere diese Zielsetzung, ab 2000 auch die SNB. Noch heute hat dieses Inflationsziel Bestand. Zeit, dies zu ändern.