Als James Christie vor 240 Jahren Meisterwerke von Rembrandt und Rubens an Katharina die Grosse verkaufte, ahnte er noch nichts von Non-Fungible Tokens (NFTs). Heute versteigert Christie's virtuelle Kunstwerke dieser neuartigen Krypto-Anlageklasse für Millionen von Dollar. Statt mit gediegenen Herrschaften in Anzug und Krawatte chatten Auktionshäuser mittlerweile via Twitter mit neureichen Bitcoin-Millionären.

"Mein Posteingang quillt über. Jeder will NFTs verkaufen", sagt Cassandra Hatton vom Auktionshaus Sotheby's, die wie der Erzrivale Christie's seit dem vergangenen Jahr in der digitalen Welt unterwegs ist. Im bisherigen Jahresverlauf verkaufte Sotheby's NFTs im Volumen von 65 Millionen Dollar, Christie's kommt sogar auf über 100 Millionen Dollar. Die virtuelle Kunst hat binnen eines Jahres bei den führenden Auktionshäusern einen Anteil von 5,5 Prozent des Umsatzes für zeitgenössische Kunst erreicht, wie Daten des Branchendienstes Art Market Research zeigen. Experten gehen davon aus, dass das erst der Anfang ist.

ÜBERALL VERFÜGBAR UND DOCH EINZIGARTIG

Dabei sind diese Bilder, Videos und Musikstücke meist frei im Internet verfügbar. Einzigartig und für Sammler interessant macht das Ganze die NFT-Technologie. Dabei werden die Werke digital signiert und gemeinsam mit seinem Besitzer auf einer Blockchain, eine Art verschlüsselter Datenbank, registriert. Durch diesen digitalen Echtheits- und Eigentumsnachweis werden die Werke zum Unikat und handelbar, auch wenn das zugrunde liegende Werk millionenfach reproduziert werden kann. Die Blockchain ist auch die Grundlage für Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum. Das Gesamtvolumen von NFT-Geschäften erreichte im dritten Quartal 10,7 Milliarden Dollar, wie Daten der Analysefirma DappRadar zeigen.

Bei Sportfans sind NFTs besonders beliebt. So können sich Fans Videoclips mit den besten Aktionen ihrer Idole sichern. Auch in virtuellen Welten, sogenannten Metaversen, herrscht ein reger Handel mit digitalen Grundstücken oder Outfits für Avatare. Ein anderes Beispiel ist die Versteigerung des weltweit ersten Tweets durch Twitter-Mitgründer und -Chef Jack Dorsey im März für 2,9 Millionen Dollar. Bei Sotheby's wurde im Sommer der Original-Programmcode des World Wide Web für über fünf Millionen Dollar verkauft.

NEUER KUNDENKREIS - NEUE GESCHÄFTSBEZIEHUNGEN

Alteingesessene Auktionshäuser müssen sich bei dem neuen Geschäft mit einer anderen Art von Kundschaft auseinandersetzen. Statt mit Stift und Block werden Verträge über Soziale Medien gemacht, Käufer registrieren sich via Kurznachrichtendienst Twitter für Versteigerungen. "Dort spielt sich alles ab, dort führen wir unsere Kundenbeziehungen", sagt Noah Davis, Leiter des Bereichs Digitalkunst bei Christie's. Bemerkenswert findet er vor allem, wie schnell diese formalen Prozesse ablaufen im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden.

Neu ist auch, dass Künstler direkt mit den Auktionshäusern zusammen arbeiten wollen und ihre Werke nicht wie sonst üblich zuerst über Galerien vermarkten, wie Rebekah Bowling vom Christie's-Rivalen Phillips feststellt. "Die traditionelle Struktur wurde auf den Kopf gestellt. Wir waren sonst immer der Sekundärmarkt."

NICHT GANZ UNPROBLEMATISCH

Das rasante Wachstum des digitalen Kunstmarktes birgt für die Auktionshäuser aber auch Risiken. Kryptowährungen, die für den Kauf dieser virtuellen Meisterwerke verwendet werden, hängt der Ruf des Illegalen an. Cyber-Devisen wie Bitcoin & Co werden für Lösgeld-Forderungen bei Hackerangriffen oder Geldwäsche missbraucht. "Wenn eine Galerie einen Künstler oder Kunstwerke an Bord holt, sollten Sie genau hinschauen", rät Anwalt Max Dilendorf, der auf Kryptowährungen spezialisiert ist. Geldwäsche mit Cyber-Devisen sei eine bekannte Tatsache.

Christie's erklärt, die Prozeduren zum Check von Kunden seien dieselben wie für physische Kunst. Bei Phillips heisst es, man prüfe, ob der Käufer über genügend Vermögen in seinen digitalen Geldbörsen verfüge. Sotheby's wollte sich zu seinen Prozessen nicht äussern.

Auch Fragen zur Echtheit und Herkunft digitaler Kunst treibt Investoren um. Als im Juni zum Beispiel bei Sotheby's das vermeintlich erste je geschaffene NFT-Kunstwerk versteigert wurde, beschwerte sich eine Person, sie sei bereits im Besitz einer früheren Originalversion des NFT. Der Streit verzögerte die Auktion, der Preis von 1,5 Millionen Dollar wurde erst Wochen nach dem Verkauf bezahlt.

(Reuters)