In ihrer Zeit als Fed-Chefin musste Janet Yellen jede ausgesprochene Silbe mit Bedacht wählen. Schliesslich kann jeder missverständliche Halbsatz einer Notenbankchefin oder eines Notenbankchefs grosse Tumulte an den Märkten auslösen. Jetzt, als amtierende US-Finanzministerin, haben ihre Worte noch immer Gewicht, doch ihre Zunge scheint lockerer geworden zu sein.

In einer Online-Veranstaltung des Magazins "The Atlantic" vom gestrigen Dienstag hat sie mit nur einem Satz für einen Kurssturz an den Börsen gesorgt. "Es könnte sein, dass die Zinsen etwas ansteigen müssen, damit sichergestellt ist, dass unsere Wirtschaft nicht überhitzt." 

Dieser Satz sass - und schlug in der Folge insbesondere an den Tech-Börsen wie ein Gewitter ein. "Janet Yellen ist die Wirkung ihrer Worte nicht bewusst gewesen. Sie wollte sicher nicht der Fed in die Politik grätschen", sagt Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin. Für Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, ist Yellen mit ihrer Aussage schlicht "in eine Falle getappt". Die Finanzministerin sah sich an der Veranstaltung mit Fragen zu den Folgen der Billionen-Ausgaben der US-Regierung zur Stimulierung der US-Wirtschaft konfrontiert, als sie von dem möglichen Zinsanstieg sprach. 

«Yellen-Aussage richtig, aber vielleicht zu ehrlich"

Nur Stunden später sah sich Yellen auf einer Veranstaltung des "Wall Street Journal" dazu veranlasst, wieder zurückzurudern. "Zinserhöhungen sind nicht etwas, was ich vorhersage oder empfehle."

Für Junius waren die ursprünglichen Aussagen von Yellen an sich richtig, sie seien nur etwas zu ehrlich gewesen für eine ehemalige Fed-Chefin. "Yellen wollte einfach darstellen, dass Infrastrukturerneuerungen und soziale Ziele wichtiger sind als ewig niedrige Zinsen." Diesen politischen Trade-Off habe sie eventuell etwas zu transparent gemacht, sagt Junius. 

Auch wenn Yellen versuchte, ihre Aussagen wieder einzufangen: Die Worte der US-Finanzministerin und Ex-Notenbankchefin von steigenden Zinsen stehen nun im Raum. Muss sich der Markt nun auf steigende Zinsen einstellen? "Bevor eine Notenbank die Zinsen anhebt, muss sie erstmal kommunizieren, dass sie die Wertpapierkäufe einstellen könnte", betont Gitzel. Erst nach einer gewissen Zeit der Drosselung könne die Fed dann ankündigen, dass sie eine Zinserhöhung in Erwägung ziehe. "Vor einem tatsächlichen Zinsanstieg sind wir also noch weit entfernt", gibt Gitzel zumindest etwas Entwarnung.  

Ab Ende Sommer weniger Anleihekäufe? 

Trotzdem dürfte sich bereits die Ankündigung einer Drosselung des Anleihenrückkauf-Programms belastend auf die Märkte wirken. Der Anstieg der zehnjährigen US-Bonds hat gezeigt, dass der Markt auf diesem Bewertungsniveau auf jede Änderung des Umfelds schlagartig reagiert. Eine mögliche Drosselung der Anleihekäufe dürfte wenig im Markt eingepreist sein, was auch am aktuellen Fed-Chef Jerome Powell liegt. Dieser wird nicht müde zu betonen, dass die geldpolitische Unterstützung noch langer weiterlaufen werde. 

Doch wie lange noch? "In der Geschichte hat die Fed immer dann die Zügel wieder gestrafft, wenn der Arbeitsmarkt in solider Verfassung war", sagt Gitzel. "Momentan spricht einiges dafür, dass sich der US-Arbeitsmarkt Ende Sommer wieder annähernd auf Vorkrisenniveau befinden", glaubt Gitzel. Das bedeutet: Ende Sommer dürfte die Fed signalisieren, dass sie eine Reduktion der monatlichen Anleihenkäufe in Betracht ziehen wird. 

«Asymmetrisches Risiko» an den Aktienmärkten

Eine ähnliche Prognose gibt Junius ab. "Wir gehen davon aus, dass die Fed in der zweiten Jahreshälfte signalisiert, wie sie sich ein Tapering vorstellt." Dies könnte ab Ende Sommer entsprechend zu einer Versteilung der Zinskurve bei den langjährigen US-Treasueries führen, glaubt Junius. 

"Mit Blick auf 2023 kann es dann vielleicht auch zu einer ersten Zinserhöhung kommen." Die Yellen-Aussage an sich sei im Prinzip kein wirklicher Grund zur Sorge. "Yellen sprach etwas Selbstverständliches an, was die Finanzteilnehmer allerdings immer gerne wegdrücken und nicht daran erinnert werden wollen", stellt Junius fest. 

Trotzdem ist Chefökonom Junius vorsichtig, was die künftige Entwicklung der Aktienmärkte betrifft. "Die ökonomischen Indikatoren haben uns positiv überrascht. Da ist es klar, dass irgendwann die Luft rausgeht." Man könne sich nicht permanent im Aufholprozess befinden, so Junius. "Es gibt jetzt immer weniger Zusätzliches, worüber man sich freuen kann." Das Risiko an den Märkten schätzt er darüberhinaus zunehmend asymmetrisch ein. Heisst: weniger Luft nach oben, dafür mehr Spielraum nach unten.