Der damals 35-Jährige hatte sich bereits einen Ruf erarbeitet durch die zügige Sanierung und den Weiterverkauf des Skischuhherstellers Koflach und des Baustoffunternehmens Eternit. Anfangs dachte er selbst nicht, dass sein Engagement bei KTM viel länger dauern würde. Doch 28 Jahre später verkauft die orangefarbene Marke in einer Woche soviele Motorräder wie damals in einem Jahr. Im Bereich Sportmotorräder zog KTM 2013 an Suzuki vorbei, und nach Stückzahlen liess das Unternehmen 2018 erstmals auch Harley-Davidson hinter sich. Jetzt will Pierer zu Kawasaki aufschliessen und unter die drei grössten Hersteller der Welt.

Das war keineswegs vorhersehbar. Die Qualität war seinerzeit so schlecht, dass KTM als "keine tausend Meter" verspottet wurde. Pierer sah die Krise als Chance. In den letzten zehn Jahren hat er durch aggressives Design und eine scharfe Markenpositionierung dennoch die verkauften Stückzahlen vervierfacht, ohne Rückenwind des Marktes in Europa. Neue Modelle und mehr Absatz in Asien sollen das Unternehmen bis 2022 nun auf 400,000 verkaufte Zweiräder katapultieren.

Trotzdem bleibt KTM in mancherlei Hinsicht Nischenanbieter: Die 261.000 verkauften Einheiten in 2018 waren zwar 35.000 mehr als Harley, dennoch ist der Umsatz der Amerikaner dreimal höher, da selbst die grösste Duke vergleichsweise filigran und günstiger ist - verglichen mit den Modellen Fat Boy und Road King der Amerikaner. Wenn man Roller und kleinere Hubräume einbezieht, verkauft im schwierigen europäischen Markt selbst Piaggio mit seinen Vespas mehr Fahrzeuge. Weltweit liegt Honda bei 20 Millionen abgesetzten Stück, Yamaha verkauft mehr als 5 Millionen. Und demnächst werden die Vorschriften zu Abgas- und Lärmemissionen verschärft.

"Motorräder leiser und sauberer zu machen kostet viel Geld, genauso wie die Entwicklung von Elektroantrieben," sagte Jürgen Pieper, Analyst beim Bankhaus Metzler in Frankfurt. "Hersteller grosser Maschinen können solche Kosten nur auf ein paar zehntausend oder hunderttausend Stück umlegen, anders als die grossen Autobauer, die Millionen Fahrzeuge verkaufen.‘‘ Eine sportliche Marke wie KTM habe es dabei prinzipiell schwieriger, umweltfreundliche Technologien mit seinem Image unter einen Hut zu bekommen, so Analyst Pieper.

Mattighofen fest in KTMs Hand

Mattighofen, gelegen in der hügeligen Landschaft des österreichischen Innviertels kurz hinter der deutschen Grenze, wo Hans Trunkenpolz 1934 seinen Reparaturbetrieb gründete, ist derweil fest in KTMs Hand. Nach dem zweiten Weltkrieg zog Trunkenpolz hier einen nationalen Champion heran, der, später unter seinem Sohn Erich, gedeihte. Doch Erich starb Heiligabend 1989 mit nur 57 Jahren und das Unternehmen landete bei Investoren mit zu wenig Sachverstand und schlitterte in die Pleite.

Pierer war von Motocross-Weltmeister Heinz Kinigadner und Industriedesigner Gerald Kiska auf die Spur gebracht worden und hatte daher schnell ein Übernahmekonzept fertig, während, wie er heute sagt, "die Konkurrenz im Weihnachtsurlaub war." Er fokussierte sich auf den off-road-Bereich und schickte bald ein Team auf die Paris-Dakar - eine gnadenlosee Wüstenrallye, aber auch der ultimative Dauertest für das Material. Die Wette ging schliesslich auf - 2001 gewann KTM das Rennen erstmals - und jedes Jahr seitdem. Die Gefolgschaft bei Enduros und Crossmaschinen jubelt, der Rallybetrieb finanziert sich gutteils selbst dank Sponsoren wie Red Bull.

Pierer führte wieder Strassenmodelle ein, die mittlerweile die Hälfte des Absatzes ausmachen. 2007 tat er sich mit Bajaj Auto zusammen. Die Inder, bekannt für ihre Autorikschas, brauchten Viertakter, Direkteinspritzung und Anti-Blockier-Systeme. Für KTM gab es im Gegenzug Zugang zum weltweit grössten Markt für motorisierte Zweiräder - und Herstellungskosten von einem Bruchteil derer in Österreich. Die Zusammenarbeit wurde erst kürzlich auf kleinere Elektromotorräder, die ab 2022 in Pune vom Band rollen sollen, ausgeweitet.

2013 sah Pierer die Chance für ein schnelles Überholmanöver: BMW war mit Husqvarna, der off-road-Motorradmarke des gleichnamigen schwedischen Kettensägenherstellers, nicht glücklich und verkaufte an Pierer, womit er nach Absatz an den Bayern vorbeizog. Gleichzeitig konnte Pierer damit die Plattformstrategie der Autobauer kopieren: die rallyeerprobten Triebwerke von KTM wanderten auch in die Husqvarnas, eine "Riesenhilfe", so Pierer, bei der Umlage von Entwicklungskosten.

"KTM und Husqvarna sind Konkurrenten auf der Rennstrecke und im Vertrieb," sagt Pierer. "Alles andere ist Familie."

Triumph steht nicht zum Verkauf

Am liebsten würde Pierer dieses Kunststück mit der britischen Triumph nochmal wiederholen und die Marke so positionieren, dass sie KTM und Husqvarna nicht weh tut und Vertriebsnetz, Zulieferstruktur und Fertigung synergetisch genutzt würden. Doch Immobilienentwickler John Stuart Bloor, der die Marke - ähnlich wie Pierer KTM - vor Jahrzehnten erfolgreich wiederbelebt hat, will nicht verkaufen.

Auch auf Ducati, vielleicht die aufregendste Motorradmarke weltweit, hat Pierer ein Auge geworfen. Gespräche gab es zuletzt 2018, doch der Preis, den Volkswagen für Ducati aufrufen dürfte, könnte eine Nummer zu gross für KTM sein. Pierer hofft derweil, dass die beiden Konkurrenten angesichts ihren vergleichsweise bescheidenen 61.500 (Triumph) bzw. 53.000 (Ducati) Stückzahlen doch noch auf seine ökonomischen Argumente hören.

"Die vier Japaner sind der Wettbewerb, alles andere sind Kollegen," so der Vorstandschef. "Wir zerfleischen uns untereinander in Europa, das ist schade. Wir sagen den anderen: Stellt euch unter‘n Schirm, machen wir doch was zusammen, heben wir Synergien im Vertrieb, in der Zulieferkette."

Nicht alle seine Wetten gingen auf. Die Partnerschaft mit Polaris Industries aus den USA, der Hersteller von Quads und der Traditionsmarke Indian, ging schief. KTMs Armbrust, der "X-Bow" genannte Sportwagen, erreichte nicht die erhofften Absatzzahlen. Und Händler monieren mittlerweile, dass die aggressiven Absatzziele der Österreicher soviele Fahrzeuge in die Verkaufsräume drücken, dass Bestände mit heftigen Nachlässen abverkauft werden müssen. Im Nachhinein dürfte sich Pierer auch wünschen, er hätte damals die Rechte an KTMs Fahrradgeschäft aus der Insolvenzmasse gleich mitgekauft.

Markt für E-bikes «explodiert»

Denn bei der KTM Fahrrad, nach wie vor ebenfalls in Mattighofen ansässig, jedoch eigenständig, brummt es. Und Pierer musste, um am Pedelec-Boom zu partizipieren, die Pexco aus dem Boden stampfen, um das Segment mit der Marke Husqvarna zu bedienen. Nicht mehr lange, und KTM dürfte etwa ein Viertel seines Umsatzes mit e-Bikes machen, von Pedelecs bis zu kleineren batteriegetriebenen Motorrädern, so der CEO.

"E-bikes sind ein Riesenmarkt geworden, da braucht man keinen Führerschein, der Markt ist explodiert. Als grosser Hersteller muss man da vertreten sein."

Pierer sagt allerdings, er kenne auch die Grenzen der neuen Technik, hat er doch bereits knapp 5.000 e-Motorräder verkauft - an Hüttenwirte, Bauern und professionelle Fahrer in der Alpenrepublik. Batterien sind teuer und gefährlich, sagt er, so dass die Elektromobilität regional im urbanen Umfeld und technisch im Niedervoltbereich verbleiben dürfte.

Ans Aufhören denk Pierer derweil noch nicht. Seine Söhne helfen zwar, seine Familienholding zu leiten, die KTM selbst dürfte allerdings nach ihm von einem Drittmanager geführt werden. Bis dahin hat er allerdings noch viel vor.

"Es ist noch einiges offen, vor allem das Thema Konsolidierung wird in den nächsten Jahren voranschreiten, nicht nur in Europa," so der Manager. "Da sind wir hervorragend aufgestellt und da kann man noch einiges bewegen. Was bisher war, wird’s wahrscheinlich nicht gewesen sein."

(Bloomberg)