cash: Privatanleger in der Schweiz sind nur sehr marginal in strukturierte Produkte investiert. Wie Statistiken zeigen, sind es bloss drei Prozent des Vermögens. Sind solche Produkte überhaupt für Privatanleger geeignet?

Manuel Ammann: Im internationalen Vergleich sind diese drei Prozent sogar eher viel. Es gibt Länder, wo man strukturierte Produkte für Kleinanleger überhaupt nicht kennt. Ob sie nun für Privatanleger geeignet sind oder nicht, kann man nicht allgemein sagen. Dafür gibt es zu viele unterschiedliche Produkte. Zum Beispiel solche mit Kapitalschutz, aber auch sehr risikoreiche. Die Produktevielfalt ist enorm. 

In der Schweiz hat sich der Markt für strukturierte Produkte seit der Finanzkrise verkleinert. Davor machten diese zeitweise sieben Prozent des Portfolios der Anleger aus. Wie wird sich der Markt weiter entwickeln?

Ich erwarte keinen rasanten Anstieg des Anteils strukturierter Produkte im Markt, denke gleichzeitig aber auch nicht, dass diese ganz verschwinden werden. Wahrscheinlich wird sich das Niveau um drei bis vier Prozent einpendeln. Für die strukturierten Produkte gibt es starke neue Konkurrenz aus dem Fondsbereich. Damit meine ich hauptsächlich die Exchange Traded Fonds, kurz ETF. Viele ETF erlauben es Privatanlegern kostengünstig und diversifiziert zu investieren. Man trägt auch kein Gegenparteirisiko, da Fondsvermögen im Konkursfall ausgesondert wird. Das macht es für strukturierte Produkte nicht einfach.

Am beliebtesten unter den strukturierten Produkten sind die Barrier Reverse Convertibles. Weshalb setzen Anleger ausgerechnet auf dieses Produkt?

Barrier Reverse Convertibles wirken oft optisch attraktiv. Es gibt einen hohen Coupon und einen Teilschutz durch eine Barriere, welche unter dem aktuellen Kurs des dem Produkt zugrundeliegenden Basiswerts liegt. Das gibt vielen Anlegern das Gefühl, ohne grosses Risiko an einen hohen Coupon zu kommen. Aber das ist natürlich ein Trugschluss. Es ist ein risikoreiches Produkt, da das Risiko von Kurseinbrüchen des Basiswerts vollständig beim Anleger liegt.

Eignen sich Barrier Reverse Convertibles im aktuellen Tiefzinsumfeld, um etwas Rendite zu erwirtschaften?

Ich warne vor der Idee, mit solchen Produkten die tiefen Zinsen kompensieren zu wollen. Der Anleger bekommt einen solch hohen Coupon, weil er einerseits das Abwärts-Risiko zu tragen hat, andererseits aber auch die Aufwärts-Chancen aufgibt. Das führt zu einem asymmetrischen Auszahlungsprofil. Nach oben kann man nicht über den Coupon hinaus profitieren, nach unten trägt man das volle Risiko. Wer in Normalzinszeiten nicht bereit gewesen wäre, solche Aktienrisiken auf sich zu nehmen, der sollte dies auch in der Tiefzinsphase unterlassen.

Als Basiswert der Barrier Reverse Convertibles dienen meist Aktien. Kann ein Anleger tatsächlich abschätzen, wie sich diese Aktie während der Laufzeit des Produkts entwickeln wird, oder ist es letzten Endes mehr eine Wette als Anlage?

In welche Richtung die Basiswerte gehen, kann ein Anleger natürlich nicht abschätzen. Auch Experten wissen dies nicht. Darin liegt das Risiko von Investitionen in Aktien. Aber Risiken einzugehen ist nicht immer schlecht. Anleger sollten sich einfach über deren Höhe bewusst sein und nicht übertreiben. Aber leider ist sich nicht jeder, der in Barrier Reverse Convertibles investiert, den damit einhergehenden Risiken bewusst. Einige lassen sich durch den hohen Coupon blenden.

Für wen eignen sich Barrier Reverse Convertibles?

Sie eignen sich für Leute, die ihr diversifiziertes Aktien-Portfolio mit zusätzlichen Aktien-Risiken ergänzen wollen. Ich sage bewusst Aktien-Risiken, weil man sich mit einem Barrier Reverse Convertible, wie bereits erwähnt, das Abwärts-Risiko des Basiswerts einkauft. Die Basiswerte sind meist eine einzelne Aktie oder ein Korb von wenigen Aktien. Oftmals ist dann noch die schlechteste Aktie des Korbes für die Kursentwicklung entscheidend. Hier holt man sich Klumpen-Risiken ins Portfolio, wenn man nicht genügend diversifiziert. Man gibt im Prinzip gezielte Wetten auf einzelne Aktien ab.

Für Privatanleger ist die Funktionsweise solcher Produkte meist nur schwer verständlich.  Sind Bestrebungen zur höheren Transparenz erkennbar?

Strukturierte Produkte können in der Tat sehr komplex sein, gerade weil sie ein nicht-lineares Auszahlungssystem haben. Man profitiert oder verliert nicht in jedem Kursbereich gleich stark. Das erfordert Kenntnisse für Anleger, die in solche Produkte investieren wollen. Wer strukturierte Produkte nicht versteht, soll auch nicht in diese investieren. Die Produktestruktur an sich ist aber nicht intransparent. Ist ein Anleger bereit, die jeweiligen Term Sheets zu lesen, kann er sich ein sehr genaues Bild machen, in welchen Situationen er wieviel ausbezahlt bekommt. So gesehen sind strukturierte Produkte eigentlich sehr transparent.

Aber wo liegt dann die Intransparenz?

Intransparent an den strukturierten Produkten ist die Preissetzung. Strukturierte Produkte bestehen unter anderem aus Optionen. Der durchschnittliche Anleger kann diese Option, die im Produkt steckt, nicht bewerten. Ihm fehlen dazu die notwendigen Bewertungsmodelle. Deshalb kann er in der Regel auch nur schlecht beurteilen, ob es nun ein günstiges oder teures Produkt ist. Und die Intuition ist hier oft trügerisch. Auch ein Vergleich zwischen den Produkten ist meist nicht möglich, da die Spezifikationen verschieden sind.

Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um die Preise transparenter zu gestalten?

Die Branche unternahm bereits Anstrengungen in diese Richtung. Gewisse Parameter zur Produktebewertung werden von den Anbietern publiziert. Aber letzten Endes kann der Privatanleger die komplexen Produkte trotzdem preislich nicht einschätzen, da ihm eben die nötigen Werkzeuge dazu fehlen. Eine vollständige Preistransparenz ist daher gar nicht möglich.

Neben strukturierten Produkten gibt es natürlich noch zahlreiche weitere Investment-Möglichkeiten. Was sollte man als Privatanleger im aktuellen Marktumfeld im Portofolio haben - und was nicht?

Ganz unabhängig vom Marktumfeld sollte auf Klumpenrisiken verzichtet werden. Eine gute Diversifikation ist wichtig. Das bedeutet, dass man nicht Wetten auf Einzeltitel tätigt, sondern die Risiken streut, auch auf verschiedene Anlagekategorien und verschiedene Märkte. Gewisse strukturierte Produkte ermöglichen das zwar, mit normalen Barrier Reverse Convertibles erreicht man dieses Ziel aber nicht. Diese sollten deshalb nur als Beimischung in ein gut diversifiziertes Portfolio verwendet werden. Mit nur einem ETF hingegen kann man bereits einen ganzen Markt abdecken. Im Aktienbereich sind kostengünstige ETF auf breite Marktindizes für mich deshalb die Hauptbausteine eines Portfolios für Kleinanleger.

Manuel Ammann ist ordentlicher Professor für Finanzen an der Universität St.Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen. An der Universität St.Gallen leitet er unter anderem das Masterprogramm für Banken und Finanzen. Seine Forschungsgebiete sind Finanzmärkte, derivative Instrumente und Portfoliomanagement. Er ist regelmässig als Gutachter und Berater für Finanzinstitutionen und die öffentliche Hand tätig und ist Mitglied mehrerer Verwaltungsräte.