Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hält trotz anziehender Inflation an ihrer bisherigen expansiven Geldpolitik fest. Die Notenbank beliess am Donnerstag den Leitzins und den Zins auf Sichteinlagen bei der Notenbank bei minus 0,75 Prozent. Den Franken stufen die Währungshüter weiterhin als hoch bewertet ein und sie bekräftigten ihre Bereitschaft, bei Bedarf mit Devisenmarktinterventionen eine wirtschaftsschädliche Aufwertung der Landeswährung zu unterbinden.

Volkswirte kommentieren die geldpolitische Lagebeurteilung der SNB wie folgt:

DIVID OXLEY, CAPITAL ECONOMICS

"Die heutige Entscheidung der SNB, den Leitzins bei minus 0,75 Prozent zu belassen, stand zwar nie in Frage, doch hat sie ihre bedingte Inflationsprognose angehoben, und das Ende der langen Phase des geldpolitischen Stillstands rückt näher. Wir gehen davon aus, dass sie die Deckung nutzen wird, die ihr das hawkischere globale Umfeld und die EZB bieten, und die Zinsen bis Ende 2023 wieder auf null anheben wird."

THOMAS STUCKI, ST. GALLER KANTONALBANK

"Die SNB hat eine Erklärung abgegeben, die ihr einen grossen Spielraum für die künftige Geldpolitik lässt. Die Inflation scheint im Moment kein grosses Problem darzustellen, aber das könnte sich ändern. Alles in allem wird die SNB in den nächsten Monaten eine abwartende Haltung einnehmen. Ich erwarte die erste Zinserhöhung im März 2023, und die heutige Erklärung ändert nichts an meiner Meinung."

BRIAN MANDT, LUZERNER KANTONALBANK

"Die SNB bleibt trotz der kräftig gestiegenen Inflation gelassen. Sie liess den Leitzins heute erwartungsgemäss unverändert und deutete auch nicht darauf hin, dass sie die Zinszügel in den kommenden Monaten anziehen wolle. Das steht im scharfen Kontrast zu anderen Zentralbanken, die bereits ihre Zinsen angehoben haben. Die SNB kann aber auch abwarten, denn die Gründe für den Inflationsanstieg hierzulande liegen primär ausserhalb ihres Einflussbereiches. Gegen die Verteuerung von Energie- und Rohstoffpreisen, die hauptsächlich für den Anstieg der Schweizer Teuerungsrate verantwortlich sind, kann sie nichts unternehmen. Auch gibt es noch keine Exzesse beim Konsum und bei den Löhnen, die bekämpft werden müssten. Die SNB lässt stattdessen eine Aufwertung des Franken zum Euro zu, was die Inflationsgefahr etwas eindämmt. Die negativen Folgen des Ukraine-Krieges auf die heimische Wirtschaft sind zudem noch kaum zu quantifizieren. Sicher ist aber, dass die Abwärtsrisiken eher zu- als abgenommen haben. Daher erwarten wir für dieses Jahr, dass die SNB ihren Leitzins unverändert lassen wird."

THOMAS GITZEL, VP BANK

"Die SNB lässt weiterhin Ruhe walten. Der starke Franken kompensiert die gestiegenen Preise für Rohstoffe und Vorprodukte. In der Schweiz stiegen die Importpreise zuletzt um 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies vergleicht sich mit einem Anstieg von knapp 25 Prozent in der Eurozone. Auch in den USA geht es hierbei zweistellig nach oben. Die SNB hat deshalb weit weniger Nöte als etwa die US-Notenbank Fed und die EZB.

Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit ein Einlagensatz von minus 0,75 Prozent zu einer Inflationsrate von zuletzt 2,2 Prozent passt? Dass die Teuerungsraten rasch zurückgehen werden, zeichnet sich in Anbetracht der massiv gestiegenen Energiepreise nicht ab. Ein geldpolitischer Richtungswechsel wäre deshalb auch in der Schweiz angebracht.

Die SNB kann sich mit einem geldpolitischen Kurswechsel noch Zeit lassen. Allerdings wird man auch in der Schweiz nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag an den Negativzinsen festhalten können. Eine Zinsanhebung im laufenden Jahr ist zwar wenig wahrscheinlich, doch im kommenden Jahr dürfte auch in der Schweiz die Zinslandschaft in Bewegung kommen."

PHILIPP BURCKHARDT, LOMBARD ODIER IM

"Es regt sich etwas bei den Zentralbanken. Sowohl Fed als auch EZB stemmen sich gegen steigende Inflation, beschleunigen die geldpolitische Normalisierung und bleiben im Gegenzug bei der Wachstumsprognose trotz des Konflikts in Europa eher vage statt vorsichtig. Die SNB entschied sich, heute noch nicht mitzuziehen und bei der Kommunikation unverändert konstant zu bleiben. Vor diesem Hintergrund hat sich aber dennoch einiges getan. Erstens toleriert sie einen stärkeren nominalen Wechselkurs und scheint weniger zu intervenieren. Zweitens nimmt sie aktuell eine Inflationsrate über der eigenen Definition der Preisstabilität von zwei Prozent in Kauf. All dies führt dazu, dass sie gemäss unserer Einschätzung wohl den ersten Zinsschritt der EZB abwartet, dann aber relativ zügig mitziehen wird. Dies sollte Anfang 2023 der Fall sein." 

(Reuters)