Bundespräsidentin und Finanzministerin Karin Keller-Sutter ist ohne Einigung im Zollstreit mit den USA aus Washington abgereist. Trotz kurzfristiger Reise und neuer Vorschläge konnte die Schweizer Delegation weder US-Präsident Donald Trump treffen noch eine Senkung des geplanten 39-Prozent-Zolls erreichen. Der Strafzoll – der höchste für ein Industrieland – ist in der Nacht zu Donnerstag in Kraft getreten. Was Experten dazu sagen:

Martin Pfister, Analyst der Commerzbank:

«Die Schweizer Bundespräsidentin reiste am Dienstag eilig nach Washington, um die US-Regierung noch vor Inkrafttreten der höheren Gegenzölle zu einem Umdenken zu bewegen. Sie reiste jedoch wieder ab, ohne einen Erfolg verkünden zu können. Zwar traf sie gestern mit dem US-Aussenminister zusammen, doch endete das Treffen lediglich mit der Erklärung, man habe ‹die Bedeutung fairer und ausgewogener Handelsbeziehungen zum Wohle des amerikanischen Volkes› besprochen. Letztlich ist der Aussenminister jedoch nicht für die Aushandlung von Handelsabkommen zuständig. Ein erwünschtes Treffen mit dem US-Präsidenten fand nicht statt.

Kurz gesagt: Niedrigere Zölle erscheinen derzeit noch unwahrscheinlich. Die höheren Zölle traten in Kraft und machten die Schweiz zu einem der Länder mit den höchsten Zöllen weltweit. Wir glauben zwar weiterhin an eine Einigung, diese dürfte aber deutlich teurer ausfallen als von der Schweiz erhofft. Die erfolglose Reise in die USA stützt unsere Einschätzung.»

Santosh Brivio, Ökonom der Migros Bank:

«Die Verhandlungsbereitschaft der Trump-Administration ist gering, die Verantwortung für die ‹unfaire› Wettbewerbslage wird stur bei der Schweiz abgeladen, und die Forderungen zur Reduktion des Handelsüberschusses sind kurzfristig unerfüllbar. Denkbar bleibt nur Verhandlungsgeschick, ein enger Schulterschluss mit betroffenen Branchen und – als Ultima Ratio – temporäre Stützung der heimischen Industrie.»

Maxime Botteron, Ökonom der UBS:

«Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zölle dürften begrenzt sein, da wichtige Sektoren wie Pharmazeutika und Gold ausgenommen sind und wir in unserem Basisszenario von niedrigeren endgültigen Zöllen ausgehen. Selbst wenn die Zölle hoch bleiben, sind wir der Ansicht, dass ein negativer Leitzins hauptsächlich den Wechselkurs beeinflussen würde und nur begrenzte Unterstützung für die Wirtschaft insgesamt bieten könnte.

Etwa 60 Prozent der Schweizer Exporte in die USA – bis zu 10 Prozent der Gesamtexporte – sind von den Zöllen betroffen. Dies reicht nicht aus, um eine aggressive geldpolitische Lockerung zu rechtfertigen, insbesondere angesichts der anhaltenden Schwäche des US-Dollars. Die Schweizerische Nationalbank wird voraussichtlich ihren Leitzins bei 0 Prozent belassen und nur dann am Devisenmarkt eingreifen, wenn vorübergehender Aufwertungsdruck auf den Franken entsteht.»

Stefano Zoffoli, Stratege der Zürcher Kantonalbank:

«Angesichts des bisherigen Verhandlungsmusters zwischen den USA und ihren Handelspartnern rechnen wir auch in der Schweiz damit, dass die Zollsätze in den nächsten Wochen niedriger ausfallen werden als angedroht. Die Zölle werden aber letztlich deutlich höher ausfallen als zu Jahresbeginn (zum Vergleich: Für die EU gelten 15-Prozent-Zölle). Insofern werden Branchen mit starkem US-Export wie Uhren (Richemont und Swatch: 4,9 Prozent im SPI) darunter leiden. Für den SMI ist jedoch die getrennt laufende US-Forderung an die grossen internationalen Pharmafirmen (inkl. USA) viel bedeutender. Diese sollen per Ende September einen Vorschlag zur Reduktion der Medikamentenpreise unterbreiten (Indexgewicht von Roche und Novartis: 23 Prozent des SPI). Die historisch tiefe Bewertung des globalen Pharmasektors antizipiert jedoch bereits einen erwarteten Preisrückgang.

Höhere US-Zölle könnten nochmals niedrigere Franken-Zinsen auslösen und den Aufwertungsdruck des Franken ceteris paribus unterbrechen. Wir würden dies nur als kurzfristiges Ereignis einschätzen. Auf Titelebene sind wir eher defensiv positioniert: Wir sind untergewichtet im Bereich Luxusgüter, bei den grosskapitalisierten Pharmawerten und halten im Industriesektor mehrheitlich spezialisierte Firmen im Bereich Elektrifizierung und Automatisierung. In der generellen Exportindustrie mit starker Produktion in der Schweiz sind wir untergewichtet. Dagegen bevorzugen wir Finanztitel und mittelgrosse Nahrungsmittelwerte sowie auf den Heimmarkt fokussierte Unternehmen.»

Matthias Geissbühler, Anlagechef von Raiffeisen Schweiz: 

«Die Trumpsche Zollpolitik wird - wenig verwunderlich - immer mehr zum Bumerang. Die einzelnen Komponenten des ISM Services Index sprechen eine klare Sprache: Die Stagflation in den USA wird zunehmend Realität. Während die Einkaufsmanager stark steigende Einkaufspreise melden, verschlechtert sich die Beschäftigungslage weiter. Dass der Arbeitsmarkt schwächelt, haben jüngst auch die Nonfarm Payrolls beziehungsweise die negativen Revisionen gezeigt. Die Frage ist: Wann kippen die Zustimmungswerte für Donald Trump und was bedeutet dies im Hinblick auf die Midterm-Wahlen 2026? Löst sich das Zollchaos in ein paar Monaten eventuell von selbst auf?»

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