Top-Ökonomen sehen in der vorerst gescheiterten Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Kanzler ein schlechtes Zeichen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. «Dass Merz nun im ersten Wahlgang gescheitert ist, sendet ein verheerendes Signal in die Gesellschaft und in die Wirtschaft: Die Reihen sind nicht geschlossen», sagte der Düsseldorfer Professor Jens Südekum am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Auch in Zukunft müsse mit Querschüssen gerechnet werden, wenn es um heikle Themen gehe. «Dabei brauchen der Wirtschaftsstandort und das gesamte Land vor allem eines – eine stabile Regierung, die planbare Politik betreibt», sagte Südekum.
Ähnlich sieht das DIW-Präsident Marcel Fratzscher. «Die Wahlniederlage von Merz unterstreicht, wie weit Union und SPD politisch voneinander entfernt sind und dass der Koalitionsvertrag bei zahlreichen Abgeordneten auf tiefe Ablehnung stösst», sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu Reuters. «Der Koalitionsvertrag enthält ungewöhnlich wenige verbindliche Absprachen und lässt viele der grossen Themen - von Steuerreform über Rentenreform bis hin zur Migration - offen.» Eine Schlussfolgerung dieser Wahlniederlage sei, dass Union und SPD dringend mehr Mut für grundlegende Reformen und Veränderungen benötigten. Der Koalitionsvertrag sei keine gute Grundlage für das Regieren in den kommenden Jahren.
Nach den Worten von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer ruft die Abstimmungspanne in Erinnerung, dass sich eine künftige schwarz-rote Bundesregierung nur auf eine knappe Mehrheit stützen könne. «Das ist ein schwieriges Umfeld für wirtschaftspolitische Reformen», sagte Krämer. «Wir erwarten weiter keinen echten Neustart in der Wirtschaftspolitik, der nach der langjährigen Erosion der Standortqualität notwendig wäre.»
ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski betonte, dass die Schlappe von Merz «für ausländische Investoren ein Zeichen ist, dass sich nicht jeder der aktuellen Lage und Dringlichkeit bewusst ist».
(Reuters)