"Pokémon Go" ist erst seit letztem Wochenende in den USA, Australien und Neuseeland verfügbar. Die geplante weltweite Einführung des Spiels musste gebremst werden, da der Ansturm schlicht zu gross war und die Server des Unternehmens zu stark belastete. Die Lancierung in Europa soll aber bald folgen.
Das Spiel gilt geradezu als revolutionär, da es im Freien gespielt wird und die realen Standortdaten der Spieler nutzt. Ziel ist es, sogenannte Pokémon-Figuren zu fangen, die auf dem Smartphone-Display in die reale Umgebung eingebettet sind (ein Bild aus dem Spiel siehe unten). In der Fachsprache wird diese Art von Spielen "augmented reality" genannt - also eine computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung.
Der enorme Hype um diese Taschenmonster - das Wort Pokémon stammt von den Wörtern Pocket und Monster ab - hat auch Auswirkungen auf die Nintendo-Aktie: Innerhalb nur einer Woche konnte sie über 50 Prozent an Wert zulegen. Ein plötzliches Lebenszeichen, nachdem die Aktie seit Jahresbeginn vor sich hin tümmelte, wie folgende Grafik zeigt:
Entwicklung der Nintendo-Aktie seit Jahresbeginn, in Yen. Quelle: cash.ch
Das Papier war in den vergangenen Monaten wegen Zweifeln an Nintendos Geschäftsmodell unter Druck geraten. Der Traditionsanbieter drückte sich lange davor, Mobile-Games zu produzieren. Man fürchtete, durch Billig-Apps seine eigenen Spielsysteme zu konkurrieren. Das Umdenken kam erst mit dem neuen CEO Tatsumi Kimishima, welcher im September 2015 das Amt nach dem tragischen Krebstod seines Vorgängers Satoru Iwata übernahm.
Die Wii U, die letzte Konsole aus dem Hause Nintendo (Erscheinungsjahr 2012), konnte den Erwartungen nie richtig gerecht werden. Sinkende Geräte-Absätze führten bei Nintendo zu Verlusten. Die Zeiten, als sich eine ganze Generation nach Spielen von Super Mario, Donkey Kong, Zelda und Co riss, schienen vorbei zu sein. Man drohte den Anschluss an die Konkurrenten von Microsoft (Xbox One) und Sony (PlayStation 4) zu verlieren.
Nintendo kassiert nicht die Mehrheit der Einkünfte
Dank der Zusammenarbeit mit der ehemaligen Google-Tochter Niantic Labs, welche die App fast im Alleingang entwickelte, konnte Nintendo mit einem Schlag das verstaubte Image abschütteln. Diesen Wandel liess auch Analysten nicht unberührt: In einer Studie lobt ein Nomura-Analyst die neueste Entwicklung.
Nach einer Kauf-Empfehlung für die Aktie sucht man aber vergeblich. Das hat seinen Grund: Trotz des Erfolgs bleiben die Mehreinnahmen bescheiden. Der Analyst von Nomura rechnet bei Nintendo durch die Pokémon-App mit Einnahmen von 1 bis 2 Milliarden Yen (9 bis 18 Millionen Franken) pro Jahr. Das ist wenig. Der Grund für die - trotz des enormen Erfolgs - eher tiefen Einkünfte ist, dass Nintendo nicht direkt hinter dem Spiel steht. Es ist die Pokémon Company - ein Schwesterunternehmen, an dem Nintendo zu ungefähr einem Drittel beteiligt ist.
Gewinne auf diesem bescheidenen Level rechtfertigen den massiven Aktiensprung dieser Woche keinesfalls. Es ist wohl vielmehr die Aussicht auf ein Umdenken im Hause Nintendo, welches die Anleger zu Kursfantasien verleiten liess. Der Markt hofft, dass künftig Smartphone-Spiele mit weiteren Nintendo-Helden erscheinen werden.
Was kommt danach?
Zunächst versucht Nintendo aber weiter vom Pokémon-Hype zu profitieren: Noch im Juli kommt "Pokémon Go Plus" auf den Markt. Das ist ein spezielles Armband, welches dem Träger signalisiert, wenn sich ein Pokémon in unmittelbarer Nähe aufhält. Diese Erweiterung zur App wird 40 Euro kosten.
Ausserdem kündigte Nintendo bereits im April eine neue Gaming-Plattform mit dem Namen NX an, welche im März 2017 auf den Markt kommen soll. Nähere Details gab es nicht. Nach bisherigen unbestätigten Spekulationen könnte NX mit dem Google-Betriebssystem Android laufen oder eine gemeinsame Plattform für mobile und Heim-Spielekonsolen sein.
Und da Nintendo mit der neuen App bewiesen hat, dass sie noch immer kreativ und innovativ sind, ist die Erwartung an die Neuveröffentlichung hoch - eine Enttäuschung jedoch nicht ausgeschlossen.
"Augmented reality": Ein Pokémon in einem Wald (Quelle: Youtube)