Ein leitender Banker, der letztes Jahr in London eingestellt worden war, wurde nur wenige Wochen später gebeten, die Koffer zu packen und nach Europa zu ziehen. Einige Handelsmanager einer US-Bank wissen immer noch nicht, ob sie in Grossbritannien bleiben können. Und ein junger Händler, der diesen Monat einen neuen Job bei einem europäischen Kreditinstitut antritt, wartet darauf zu erfahren, wo sein Arbeitsplatz sein wird.

Lückenhaftes Handelsabkommen für Finanzdienstleistungen

Trotz jahrelanger Planungen für den Brexit sind globale Banken angesichts eines lückenhaften Handelsabkommens für Finanzdienstleistungen und der Pandemie weiterhin mit Unsicherheiten konfrontiert. Unterdessen verstärken die Aufsichtsbehörden den Druck auf die Banken, ihre Verlagerungspläne, die sie vor dem Ausscheiden Grossbritanniens am 31. Dezember festgelegt haben, umzusetzen.

Kurzfristig würden die europäischen Behörden den Banken Flexibilität einräumen, da der jüngste Ausbruch von Covid-19 auf dem Kontinent die geplanten Umzugsbestrebungen beeinträchtigt, sagten mehr als ein halbes Dutzend Führungskräfte und Händler, die hier involviert waren und namentlich nicht genannt werden wollten. Aber es handelt sich nur um eine vorübergehende Atempause.

Die Europäische Zentralbank ist bestrebt, die Abhängigkeit der Banken von einem Modell zu verringern, bei dem in Europa verarbeitete Handelstransaktionen in London verbucht werden können, wo letztendlich Risiko und Liquidität - sowie die Händler - angesiedelt sind. Die Behörde hat oft gesagt, dass EU-Tochtergesellschaften lokal verwaltet werden sollten.

Andrea Enria, der Vorsitzender des EZB-Aufsichtsgremiums, sagte letzte Woche, dass die Banken sich mit dem Thema beschäftigen. Allerdings gebe es "noch einige Knackpunkte" bei einer Reihe von Firmen, nachdem der Austritt Grossbritanniens Geschäftsfelder wie den EU-Aktienhandel in den Binnenmarkt getrieben hat. "Wir haben auch in den letzten Monaten des letzten Jahres erhebliche Fortschritte gesehen. Wir sind daher zuversichtlich, dass wir bald das angestrebte Betriebsmodell erreichen werden."

Weitere Verlagerungen

Über die Verlagerungen hinaus, die vor dem 1. Januar stattfinden sollten, bereiten unterrichteten Kreisen zufolge Banken wie JPMorgan und Citigroup bis Ende des Jahres die Umsiedlung weiterer Risikoträger aus Grossbritannien vor. Damit wollen sie die längerfristigen Bedenken der Behörden zerstreuen, dass sie zu weit von den von ihnen betreuten Geschäften entfernt seien, hiess es weiter. Sprecher der Banken lehnten eine Stellungnahme ab.

Bei der Citigroup beispielsweise steht die Bank kurz davor, ihre Besetzung nach dem Brexit abzuschliessen, und einige hochrangige Händler europäischer Vermögenswerte haben wenig Klarheit darüber, wo ihre Zukunft liegen wird, sagen mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Einige Banker erwarten, dass die Aufsichtsbehörden trotz der Covid-bedingten Reisebeschränkungen die Umsiedlung von Personen verlangen, wenn in einer Bank noch praktisch alle Sales- und Handelsmitarbeiter für das EU-Geschäft aus dem Home Office in London arbeiten. Einige Aufsichtsbehörden haben regelmässig überprüft, ob die Bereiche der Banken auf dem Kontinent voll funktionsfähig und mit ausreichend Personal ausgestattet sind, hiess es weiter.

Bei diesem Ansatz sind einige Banker zwischen den Anforderungen ihrer Branche und Massnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zur Bewegungseinschränkung hin- und hergerissen. Eine Reihe von Händlern weigert sich aus persönlichen Gründen, ins Ausland zu ziehen.

Bewegungseinschränkung

Die Einzelheiten der Verlagerungspläne der Banken werden von den Ländern bestimmt, die sie als ihre neue oder erweiterte Drehscheibe innerhalb der EU ausgewählt haben.

Länder wie beispielsweise die Niederlande haben den Händlern gestattet, vorerst in Grossbritannien zu bleiben, und akzeptiert, dass die Umzüge erst gegen Ende des Jahres stattfinden werden.

Die französische Aufsichtsbehörde Autorité des Marchés Financiers dagegen hat Unternehmen mit strafrechtlichen Sanktionen gedroht, wenn sie nicht über genügend Personal verfügen, um ein umsichtiges Risikomanagement in ihren EU-Büros zu gewährleisten. Der Broker TP ICAP Plc hat dies bereits zu spüren bekommen, weil es ihm nicht gelungen war, Mitarbeiter so schnell umzusiedeln, wie es die Aufsichtsbehörden wünschen. Ihm wurde kürzlich untersagt, einige seiner EU-Kunden zu bedienen, weil die geplante Verlagerung von Mitarbeitern nach Paris noch nicht abgeschlossen war.

Äquivalenzregelungen entscheidend

Der Sektor wurde in dem Handesabkommen, dass die EU mit Premierminister Boris Johnson abgeschlossen hat, aussen vor gelassen. Und der grenzüberschreitende Handel für viele britische Finanzunternehmen wird von sogenannten Äquivalenzregelungen abhängen, ob die Regeln der jeweils anderen Seite robust genug sind. EU-Vertreter haben gesagt, dass die Staatengemeinschaft keine Eile habe, diese Entscheidungen zu treffen.

Fast fünf Jahre nach dem Brexit-Votum können die Unternehmen es sich nicht leisten, viel länger auf Klarheit zu warten. "Banken können sich bei ihrer langfristigen Planung nicht auf Äquivalenz verlassen. Sie müssen über ihre langfristige Aufstellung nachdenken ", sagte Tom Merry, beim Unternehmensberater Accenture zuständig für Bankenstrategie.

(Bloomberg)