Die Verluste der Energieanbieter wegen der hohen Brennstoffpreise könnten auch auf lokale Versorger und deren Kunden übergreifen, einschliesslich auf Verbraucher und Unternehmen, sagte Habeck (Grüne) am Donnerstag, nachdem er die zweite "Alarmstufe" des Notfallplans Gas ausgerufen hatte.

"Wenn dieses Minus so gross wird, dass sie es nicht mehr tragen können, droht der ganze Markt irgendwann zusammenzubrechen", sagte Habeck auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Berlin. "Also ein Lehman-Effekt im Energiesystem."

Deutschland steht vor der historisch beispiellosen Situation, dass Industrie und Verbrauchern die Energie auszugehen droht, weil der russische Präsident Wladimir Putin den Gashahn immer weiter zudreht. Das Krise eskalierte letzte Woche, als die Lieferungen durch die wichtigste Pipeline stark reduziert wurden. Mehr als ein Drittel des deutschen Gasbedarfs kommt aus Russland.

Die erhöhte Alarmstufe löst noch engere Marktbeobachtung aus. Auch sollen weitere Kohlekraftwerke zur möglichen Wiedereinstellung vorbereitet werden. Habeck forderte auch zu Energieeinsparungen auf. Von dem mit der Alarmstufe möglichen Mechanismus zur Erhöhung von Preisen für Endabnehmer soll aber erst einmal abgesehen werden. Die dritte und höchste Stufe des Plans würde der Bundesregierung erlauben, Gas zu rationieren.

"Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen", erklärte Wirtschaftsminister und Vizekanzler (Grüne). "Auch wenn man es noch nicht so spürt: Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut."

Der europäische Referenzpreis für Gas stieg in Amsterdam um 1,7 Prozent auf 129,30 Euro pro Megawattstunde. Die Kontrakte haben um mehr als 50 Prozent zugelegt, seit die staatliche Gazprom PJSC den Durchfluss durch die Nord Stream-Pipeline um etwa 60 Prozent gedrosselt hat.

Ende März hatte die Regierung die Frühwarnstufe in Kraft gesetzt, als die Forderungen des Kremls nach Zahlung in Rubel Deutschland dazu veranlassten, sich auf einen möglichen Lieferstopp einzustellen. Bei der höchsten Stufe des Notfallplans wird die Gasversorgung staatlich geregelt.

Bereits jetzt reicht die Krise weit über Deutschland hinaus. Zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind betroffen und 10 haben eine Frühwarnstufe ausgerufen, sagte Frans Timmermans, der Klimachef der Europäischen Union, vor dem Europäischen Parlament.

"Das Risiko einer vollständigen Unterbrechung der Gasversorgung ist jetzt realer als je zuvor", sagte er. "Das ist alles Teil der russischen Strategie, unsere Einheit zu untergraben."

Auch die Bemühungen, die Gasspeicher für den kommenden Winter zu füllen, stehen in Frage. Bei den gegenwärtigen Liefermengen sei "ein Speicherstand von 90 Prozent bis Dezember kaum mehr ohne zusätzliche Massnahmen erreichbar", schrieb das Wirtschaftsministerium. Habeck äusserte die Befürchtung, dass Nord Stream nach einer planmässigen 10-tägigen Wartungsphase, die am 11. Juli beginnt, nicht zur vollen Kapazität zurückkehrt.

Die deutschen Gasspeicher sind aktuell zu etwa 58 Prozent gefüllt. Nach Angaben Bundesnetzagentur sank die tägliche Füllrate am Mittwoch um etwa die Hälfte auf den niedrigsten Stand seit Anfang Juni. Bei dieser Rate würde es mehr als 100 Tage dauern, um das Ziel von 90 Prozent zu erreichen - schon in die frühe Heizperiode hinein.

Die BNetzA würde Rationierungen beginnen, wenn die die Notfallstufe ausgelöst wird. Die Bonner Behörde hat erklärt, dass Freizeiteinrichtungen wahrscheinlich als erstes von Lieferkürzungen betroffen wären, während Verbraucher und wichtige öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser geschützt würden. Generell ist Gas in der Industrie und beim Heizen weniger leicht zu ersetzen als bei Kraftwerken.

Um den Markt kurzfristig zu stützen, stellt die Regierung zusätzliche Kreditlinien der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Verfügung, um die Einspeisung von Gas in Speicherstätten zu garantieren. In diesem Sommer wird ein Auktionsmodell eingeführt, um den industriellen Abnehmern Anreize zu bieten, Brennstoff einzusparen, der dann in die Speicher wandern kann. 

"Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff Putins auf uns", so Habeck. "Es ist offenkundig Putins Strategie, Unsicherheit zu schüren, die Preise zu treiben und uns als Gesellschaft zu spalten. Dagegen wehren wir uns."

(Bloomberg)