Der Satelit "Sentinel-1" fliegt etwa 700 Kilometer über der Erde und hat eine Aufgabe: radargestützte Beobachtungen von der Erde machen. In diesen Tagen hilft dieser Satellit, zu verstehen, warum die Preise für US-Rohöl derzeit ins Bodenlose fallen. Er fliegt derzeit öfters über die grössten Öl-Becken der USA und sendet dort Radarsignale aus.

Dadurch kann er ermitteln, wie stark die Öl-Behälter gefüllt sind. Die Signale, die in den letzten Tagen von den Öl-Lagern zurückkommen, sind alarmierend: Die Kapazitäten der Öl-Lager erschöpfen sich zunehmend.

Antworten zu den fünf wichtigsten Fragen zur aktuellen Entwicklung an den Öl-Märkten finden Sie hier.

Dies ist eine Situation, die keinen Präzedenzfall kennt und den Markt hochverunsichert zurücklässt. Einige Experten gehen davon aus, dass es nur eine Frage von Wochen ist, bis es keine Lager mehr zur Aufbewahrung von Rohöl gibt. In solch einem Szenario mit vollen Öltanks – welches im US-Sprachgebrauch "Tank Tops" genannt wird – dürfte der Ölpreis nach unten keine Grenze haben.

Im Mai keine freien Lager mehr?

"Wir steuern derzeit auf Tank Tops im späten Mai oder frühen Juni zu", sagt Florian Thaler von Olix, einem Research-Unternehmen, welches Sateliten-Daten auswertet.

Das Problem: Der Markt wird schon vorher ein solches Worst-Case-Szenario antizipieren, bevor es tatsächlich eintritt. Am Dienstag setze sich der Verkaufsrausch am Markt fort. Futures auf Lieferungen der Sorte Brent im Juni verloren 15 Prozent und wurden bei etwa 16 Dollar gehandelt – so tief wie seit 21 Jahren nicht mehr. Derzeit handeln sie etwa bei 19 Dollar.

Am Montag stürzte der Ölpreis ab, weil viele Händler ihre Öl-Kontrakte für die US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) noch loswerden mussten, bevor diese auslaufen würden. Das Problem: Sie hatten keine Lager, dieses Öl tatsächlich entgegen zu nehmen. Auf dem Tiefpunkt zahlte ein Händler 40,32 Dollar pro Barrel, um seine Mai-Kontrakte abzustossen.

Ölpreis von minus 100 Dollar?

"Wir erleben derzeit eine Krise des Marktes in seiner Funktion als Manager", sagt Paul Sankey, langjähriger Öl-Analyst von Mizuho. Er hatte bereits im März korrekterweise vor negativen Ölpreisen gewarnt. Am Dienstag ging er noch einen Schritt weiter, indem er sagte: "Ein Ölpreis von minus 100 Dollar pro Barrel im Mai? Durchaus möglich"

Die Satellitenbilder zeigen es: Es herrscht ein massives Überangebot am Ölmarkt. Negative Ölpreise scheinen in diesem Umfeld keinen Boden zu haben. Etwa 50 Millionen Barrel Rohöl kommen noch immer jede Woche in die Lager. Das ist genug, um Deutschland, Frankreich, Italien, und Grossbritannien zusammen mit Brennstoff versorgen.

In Indien haben Raffinerien laut offiziellen Angaben mittlerweile rund 95 Prozent ihrer Lagerkapazität besetzt. Nigeria wird die Produktion kappen, weil es gar kein Platz mehr für das Rohöl hat.

Öl-Produktion hält weiter an

Doch viele Ölproduzenten fahren ihre Produktion unvermindert fort. Ganz nach dem Motto: Ein paar wenige Dollar sind besser als gar nicht.

Aus der Vogelperspektive erscheint der Ölmarkt wie ein stark miteinander verflochtenes System. Doch die Realität ist eine andere: Der Markt ist vielmehr eine Ansammlung von grossen und kleinen Inseln, die nur lose miteinander verbunden sind. Es geht daher nicht darum, wann die weltweiten Lager voll sind. Die Frage ist, wann jede dieser einzelnen Inseln ihre Kapazitätsgrenzen erreichen.

(cash/Bloomberg)