Die Aktien von AMS Osram befinden sich auf einer äusserst schmerzhaften Talfahrt. Seit März 2018 ist der Titel von gut 80 auf 3,40 Franken implodiert. Allein im laufenden Jahr beträgt das Kursminus des Herstellers von Sensoren und Autolampen 51 Prozent.

Die Gründe sind die zyklischen Gegebenheiten im Rahmen der Rückkehr zur Just-in-Time-Lieferungen in der Industrie und die konjunkturelle Abschwächung der Endmärkte. Aber auch die Ankündigung einer weiteren grossen Kapitalerhöhung lastete schwer auf dem Aktienkurs.

Entsprechend wurden vor allem ab Sommer die Short-Positionen aufgestockt und mit der angekündigten Kapitalerhöhung noch intensiviert. Mit Short-Positionen wetten Investoren auf einen fallenden Aktienkurs.

Auf die Geschäftszahlen hat das Umfeld deutlich abgefärbt: Der Umsatz ist im dritten Quartal um ein Viertel auf 904 Millionen Euro eingebrochen. Operativ fiel der bereinigte Betriebsgewinn von 91 Millionen Euro im Vorjahr auf nun 71 Millionen Euro.

AMS will nun durch eine Kombination aus einer Kapitalerhöhung über 800 Millionen Euro, neuen Anleihen und weiteren Finanzierungsinstrumenten insgesamt über 2,25 Milliarden beschaffen. Mit den Kapitalmassnahmen soll die Bilanz gestärkt und auch das Wachstum beschleunigt werden.

Die Gesundung ist auch dringend notwendig, denn durch  Abschreibungen von 1,3 Milliarden Euro auf Firmenwerte Ende Juli ist die Eigenkapitalquote auf rund 18 Prozent geschrumpft. Mit der Kapitalerhöhung soll sie wieder auf 30 Prozent geschraubt werden. Und ausstehende Anleihen - von 450 Millionen Dollar und 850 Millionen Euro - mit Fälligkeit im Jahr 2025 sollen damit auch zurückgezahlt werden.

Erste Schritte wurden bereits unternommen: AMS Osram will im Rahmen seiner Finanzierungspläne die in Malaysia geplante Fabrik verkaufen und gleichzeitig rückanmieten. Das bringt rund 400 Millionen Euro ein. Und diese Woche kündigte die Firma eine vorrangige unbesicherte Anleihe im Gegenwert von 800 Millionen Euro an.

Die Negativspirale, die dieses Jahr auch einen CEO-Wechsel zur Folge hatte, hat auch in den Urteilen der Experten Spuren hinterlassen. Gerade noch drei von dreizehn bei Bloomberg erfasste Analysten zu AMS empfehlen den Titel zum Kauf. Immerhin liegt das durchschnittliche Kursziel 79 Prozent über dem aktuellen Niveau. Aber ob das angesichts der laufenden Kurszielreduktionen zu beruhigen vermag?

Wo bleibt das «Shareholder Value»?

Einem Experten zufolge hat AMS Osram ein grundsätzliches Problem: «Unserer Meinung nach ist die Unternehmenskultur grundsätzlich nicht am Shareholder Value orientiert, sondern anderen Stakeholdern wurde immer der Vorzug gegeben», urteilt Reto Huber, Analyst bei Research Partners, gegenüber cash.ch knapp und deutlich. Im Moment drehe sich zum Beispiel alles um die Fertigstellung der Fabrik in Kulim in Malaysia sowie um die Massenproduzierbarkeit der MicroLED für einen einzigen Schlüsselkunden. «Wir vermuten, dass es wieder Apple ist», so Huber.

Die «aktionärsfeindliche» Unternehmenskultur lässt sich am besten an der milliardenschweren Osram-Übernahme festmachen, die unter dem ehemaligen Firmenchef Alexander Everke vorangetrieben und vollzogen wurde. Es wurden nicht Aktionärswerte geschaffen, sondern im grossen Stil vernichtet. Mit 966 Millionen Franken bringt AMS Osram heute nur noch ein Viertel so viel an Börsenwert auf die Waage, wie man einst für Osram bezahlen musste.

«Es kommt bei AMS Osram laufend vor, dass Ziele und Versprechungen revidiert werden», kritisiert Huber weiter. Das eklatanteste Beispiel geschah zum Zeitpunkt vor der Osram-Akquisition, als kommuniziert wurde, dass die Gruppe mit den 2017 bis 2018 bei AMS und Osram aufgebauten Produktionsanlagen und -kapazitäten in der Lage sein sollte, den Grossteil ihres internen Produktionsbedarfs in den kommenden Jahren zu decken.

Kurz nach Kapitalerhöhung und Akquisition kündigte das Management jedoch an, dass die Investitionen im Jahr 2022 wieder auf 15 Prozent und im Jahr 2023 auf über 20 Prozent des Umsatzes ansteigen würden, bevor sie auf das normalisierte langfristige Niveau von 10 Prozent sinken.

Umsatz-Verzehnfachung und Rosskur

In seiner Amtszeit verzehnfachte Everke zwar den Umsatz von AMS, doch die Zweifel der Analysten am künftigen Erfolg konnte er nie ausräumen. AMS Osram gilt zudem immer noch als sehr abhängig von seinem wohl wichtigsten Kunden Apple.

«Wenn ein Unternehmen einen Hauptkunden, aber keinen Hauptaktionär hat, wie es für den AMS-Teil der Fall war, dann ist es klar, dass das Management nicht aktionärsorientiert ist. Die deutschen Osram-Gesellschaften mit einem hohen gewerkschaftlichen Anteil im Aufsichtsrat sind per se nicht Shareholder-Value-orientiert», so Huber.

Nun folgt also die Rosskur: Das Unternehmen streicht im Halbleitergeschäft einen Geschäftsbereich und will sich auf sein profitables Halbleiterportfolio mit intelligenten Sensor- und Emitter-Komponenten konzentrieren.

Die Unterauslastung der Fabrik in Kulim könnte sich laut Huber hinziehen, was sich entsprechend über einen längeren Zeitraum auf die Bruttomarge auswirken könnte. «Niemand kennt die Adoptionsrate von MicroLED. Es könnte gut ein Jahrzehnt dauern, bis die Kapazitäten vernünftig ausgelastet sind. Wir denken, dass die Kapitalerhöhung ein Eingeständnis dafür ist», kommentiert der Analyst. Das ehemalige Osram-Management sah den Start des Hochfahrens der Produktion der MicroLED für 2022 vor, was offensichtlich nicht passierte.

Im ersten Halbjahr 2023 war es zuerst die Lagerkorrektur im Autosektor und ab Sommer die Bilanzrisiken sowie die Finanzierungsankündigung, die die Aktie unter Druck kommen liessen. «Nach der Kapitalerhöhung bis Ende Jahr werden diese Refinanzierungsrisiken vorbei sein. Für nächstes Jahr wird organisch ein leichtes Wachstum möglich sein, vor allem im zweiten Halbjahr, da AMS Osram ja wieder einen Apple Socket gewonnen hat und mehrere Autoprogramme anlaufen werden», argumentiert Mark Diethelm, Analyst bei Vontobel, gegenüber cash.ch.

MicroLED mit dem grössten Potenzial

AMS Osram ist ein Halbleiterhersteller und daher entsprechenden Technologierisiken ausgesetzt. «Die Neuausrichtung mit weniger Smartphone-Exposure reduziert die Technologie- und Produktrisiken, da der Umsatzverlauf weniger volatil und planbarer werden sollte», so Diethelm weiter. Der Aufbau der MicroLED-Produktion mit den hohen Investitionen ist ein Risiko, biete aber gleichzeitig auch das grösste Potenzial.

Auch werden sich die bestehenden Geschäftsbereiche zyklisch erholen, was der Aktie einen gewissen Schub geben sollte. Aber es ist nach dem massiven Kapazitätsausbaus seit 2022 nicht klar, wie stark und wie lange die Unterauslastung die Rentabilität belasten wird. Auch wird das Unternehmen allein durch die zyklische Erholung wohl noch lange nicht seine Kapitalkosten verdienen, wendet Huber ein.

Bezüglich des Wachstums sieht es - abgesehen von Zyklus und Kapitalkosten - nicht schlecht aus: Es gibt zahlreiche Wachstumschancen für optoelektronische Komponenten in den strategischen Märkten von AMS Osram. Innovative, intelligente Aussenbeleuchtung für Autos ist der unbestrittenste Wachstumstreiber. Auch wird mehr Licht im Innern der Automobile verbaut.

Im Industriebereich in der Robotik (3D), bei Maschinen («machine vision»), Spektralsensorik und bei der Medizin ist AMS Osram bei Computertomographen ein wichtiger Lieferant. «Die MicroLED Technologie wird eines der grössten Wachstumschancen sein», prognostiziert Diethelm von Vontobel. Zuerst in Smartphones, aber auch in der Industrie und im Automobilsektor. Dazu kommt die Verschmelzung von MicroLED Bildschirmen mit integrierten Sensoren.

Analystenmeinungen gehen auseinander

Auch sonst ist der Vontobel-Analyst für das Technologieunternehmen aus Österreich positiv gestimmt: «Nach der Kapitalerhöhung sollte Ruhe einkehren, auch weil die Risiken (Apple Umsatz-Exposure nur noch einstellig) nicht mehr so hoch sind.» Die Schwäche in der Industrie dürfte nächstes Jahr belasten, dagegen sollten die Design-Wins ab dem 2. Halbjahr 2024 greifen. Auch dürfte der Cashflow nächstes Jahr positiv ausfallen, trotz den weiteren Investitionen in die MicroLED-Fabrikation. «Die Phase der Schocks sollte zu Ende sein.»

Kritischer ist hingegen Huber von Research Partners, er weist auf das verlorene Vertrauen hin: «Reine Lippenbekenntnisse an den Aktionär reichen hier nicht mehr aus.» Kommunizierte mittelfristige Ziele seien bei AMS Osram aufgrund der Historie nicht ernst zu nehmen. Das neue Management habe mit der Kapitalerhöhung potenziellen Goodwill bereits verspielt. Es müsse nun hinsichtlich der 2026 Ziele einfach liefern.  

Das Fazit bleibt daher: AMS Osram hat die Produkte, um langfristig erfolgreich zu sein. Aber Konzernchef Aldo Kamper darf sich keinerlei Fehler mehr erlauben. Und Anlegerinnen und Anleger warten wohl besser ab, bis der Ausgabepreis der neuen Aktien bekannt ist. Wer bereits jetzt einsteigt, könnte in ein weiter fallendes Messer greifen.

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