Es entsteht eine Gruppe von Technologieunternehmen mit Bewertungen, die denen in den USA und Asien nicht nachstehen. Bei Hopin, ein Unternehmen für virtuelle Veranstaltungen mit Sitz in London, hat sich die Bewertung innerhalb von nur vier Monaten mehr als verdoppelt.

Das grösste Start-up des Kontinents, Klarna Bank in Schweden, erreichte in seiner jüngsten Finanzierungsrunde eine Bewertung von 45,6 Milliarden Dollar, viermal mehr als letztes Jahr. Das britische Finanztechnologie-Start-up Revolut erwägt eine Runde, die das Unternehmen mit mehr als 20 Milliarden Dollar bewertet, mehr als das Dreifache der 5,5 Milliarden Dollar aus dem Jahr 2020, sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Es gibt eine "kleine Tech-Blase", so Martin Davis, Vorstandschef der in London notierten Risikokapitalgesellschaft Draper Esprit, in einem Interview. "Das wird nicht ewig so bleiben." Der Wert des Portfolios von Draper stieg in den 12 Monaten bis März um 51 Prozent, verglichen mit 10 Prozent im Vorjahr. Eine Verlagerung von Konsumgewohnheiten hin zu Online während der Covid-19-Pandemie in Kombination mit niedrigen Zinsen trieb Anleger auf der Suche nach attraktiven Renditen weiter in Richtung Technologie.

"Einige dieser Bewertungen treiben einem die Tränen in die Augen. Das ist in den USA seit einigen Jahren der Fall und hier gibt es jetzt eine entsprechende Aufholjagd", sagt Erin Platts, Leiter Europa, Mittlerer Osten und Afrika bei der Silicon Valley Bank. "Die Geschwindigkeit macht mir ein bisschen Angst, mehr noch als einige der Zahlen."

Bei Didi geht die Bewertung abwärts

Hohe Bewertungen von Anlagen im privaten Bereich lassen sich nicht unbedingt auf die Aktienmärkte übertragen und eine Reihe von Börsengängen weltweit erzielten am Ende Emissionspreise unterhalb ihrer ambitionierten Schätzungen. Der chinesische Fahrdienst Didi Global wurde bereits vor dem Zusammenbruch der Aktien diese Woche mit lediglich 68 Milliarden Dollar bewertet, deutlich unter den zuvor prognostizierten 100 Milliarden Dollar.

Aktien des britischen Cybersicherheitsunternehmens Darktrace starteten an der Börse mit einem Marktwert von 1,7 Milliarden Pfund (2,2 Milliarden Franken), etwa der Hälfte des Wertes, der nur Wochen zuvor kolportiert worden war. Lebensmittellieferant Deliveroo verlor an seinem ersten Handelstag in London im März um bis zu 26 Prozent.

166 Einhörner in Europa

Der europäische Technologiesektor hat jetzt 166 sogenannte Einhörner, Unternehmen mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Dollar, so ein Juni-Bericht der Investmentfirma GP Bullhound. Der Gesamtwert dieser Unternehmen beträgt mehr als 800 Milliarden Dollar und die Hälfte davon wurde erst binnen Jahresfrist geschaffen.

Namhafte Fonds nutzen das Interesse der Anleger in Europa mit neuen Anlagevehikeln und dezidierten Geldern speziell für die Region. Es schadet bislang nicht, dass die Investoren einiger bekannter Start-ups ihren Ausstieg planen und ihre Beteiligungen versilbern, wie beispielsweise der Digital-Payment-Anbieter Wise mit seinen Plänen für ein direktes Listing in London und Akquisitionen, wie die Übernahme der Second-Hand-Mode-App Depop durch Etsy.

Wise, ehemals Transferwise, ein Unternehmen im Bereich Geldtransfer, erzielte am Mittwoch bei seiner Erstnotiz eine Bewertung, die bei mehr als dem Doppelten der letzten Finanzierungsrunde vor einem Jahr lag. "Es gibt viel mehr Wettbewerb, und das treibt die Preise in die Höhe", sagte Manish Madhvani, geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer von GP Bullhound. "Wenn überhaupt, wird diese enorme Kapitalspritze noch grösseres Wachstum ankurbeln. Wir müssen nur sicherstellen, dass es sinnvoll ausgegeben wird."

Risikoinvestoren sind unterwegs

Grosse Finanzierungsrunden wurden begleitet von Risikoinvestoren, die in grossem Stile Kasse gemacht haben. Europäischer Technologieunternehmen haben bislang 2021 mehr Geld eingesammelt, als in jedem anderen Jahr seit mindestens 2009, so von Bloomberg zusammengestellten Daten. Es gibt auch mehr Börsengänge - in diesem Jahr bisher mehr als 75 in Europa - verglichen mit 45 im gesamten Jahr 2020.

Die für Akquisitionen von Technologiefirmen ausgegebenen Gelder in Europa haben sich gegenüber dem Vorjahreszeitraum verdoppelt. 2021 dürfte das grösste Jahr für Technologie- und Internet-Transaktionen seit mehr als zwei Jahrzehnten werden, legen die Daten nahe.

Trotz der Bedenken über womöglich zu schnelles Wachstum und hohe Bewertungen hat die Branche jahrzehntelang gute Renditen erzielt, sagte Lars Jornow, Partner der schwedischen Risikokapitalgesellschaft EQT Ventures. "Vor vier oder fünf Jahren sagten die Leute, die Bewertungen seien so hoch. Ich bin sehr bullish. Die Technologiemärkte werden weiterhin liefern", sagte Jornow. "Es kann sein, dass die Bewertungen irgendwann angepasst werden, aber Tech ist seit zwei Jahrzehnten in einem Bullenmarkt."

(Bloomberg)