"Es ist noch offen, ob dies das Jahrzehnt der Krise oder das Jahrzehnt vor der Krise sein wird." Der dies sagt, ist Guido Versondert, Banken-Experte bei Independent Credit View. Er macht gleich zu Beginn im cash-Talk klar, dass die Weltwirtschaft noch immer vor massiven Problemen steht und eine weitere ernsthafte Krise nicht auszuschliessen ist.

Eine Krise, die, anders als 2008, vom alten Kontinent ausgehen könnte: Europas Banken sind noch nicht genesen, es besteht zum Teil noch grosses Verbesserungspotential im Kapitalaufbau. Zu diesem Schluss kommt eine Bankenstudie von Independent Credit View, welche die massiven Problemkredite italienischer Banken und strukturelle Mängel in Frankreich sowie Italien als wichtigste Hindernisse für die Gesundung der europäischen Wirtschaft und Banken sieht.

Allgemein belastet das tiefe Zinsumfeld und die Zurückhaltung der Kunden die Erträge der Banken, welche aber teils auch an hausgemachten Problemen rumzukämpfen haben: Es hagelt noch immer Bussen oder Androhung von Bussen wegen illegalen Tätigkeiten. Zuletzt war die Deutsche Bank wegen angeblichen Tricksereien am Immobilienmarkt in den (Negativ-)Schlagzeilen. Am stärksten leiden derzeit aber die Finanzinstitute Italiens. Sie sitzen auf faulen Krediten von rund 360 Milliarden Euro. Monte dei Paschi di Siena - das älteste Geldhaus der Welt - und weitere Institute sind dringend auf frisches Kapital angewiesen.

"Eine Bereinigung der Situation in Italien wird ohne massive externe Hilfe kaum möglich sein", so Versondert. Im Kern müsse dies durch Hilfe des italienischen Staates geschehen. Was im Ergebnis gemäss Versondert die Glaubwürdigkeit der europäischen Bankenregulierung und auch der Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank und die Banca Italia schwer beschädigen würde.

Staatliche Rettung als letzte Lösung

Anders als nach der weltweiten Finanzkrise 2008 verfügt Europa inzwischen über ein Regelwerk für den Umgang mit Problembanken, welches genau eine solche staatliche Rettung verhindern möchte. So besagt etwa die seit 2015 in Kraft getretene Bail-in-Regel, dass eine staatliche Rettung von Banken in Europa die allerletzte Lösung sein soll, wenn eine Systemkrise verhindert werden muss. Primär sollen die Verluste bei Banksanierungen von deren Eigentümern und Gläubigern getragen werden.

Daneben existieren zahlreiche weitere Regulierungen der Banken, welche unter den Basel-III-Vorschriften zusammengefasst werden und strengere Vorschriften beim Eigenkapital und bei den Liquiditätsvorschriften beinhalten.

Doch mehr Regeln bedeutet nicht zwangsläufig auch mehr Sicherheit: "Man muss sich schon fragen, ob die vielen regulatorischen Initiativen, auch wenn viele von ihnen sinnvoll sind,  nicht zu viel Belastung für die Banken darstellen", so Versondert. Der Banken-Analyst sieht etwa durch die Bail-in-Regelung keine wirkliche Risikominderung, sondern im Gegenteil eine risikoerhöhende Wirkung für einzelne Banken und Gläubiger. Ausserdem habe dieser Ansatz, wenn die Probleme nicht nur auf eine einzelne Bank beschränkt sind, schnell seine Grenzen erreicht.

Schweizer Banken stehen gut da

Es kriselt nicht nur in Italiens Bankenbranche, auch anderswo kommen Banken stark unter Druck. Davon nicht ausgenommen sind die beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse, welche sich in einer strikten Umstrukturierungsphase befinden und an der Börse stark unter Druck gekommen sind.

Zwar haben sich die beiden Aktien in den letzten drei Wochen deutlich erholt (UBS +8 Prozent, CS +28 Prozent), doch kann damit die negative Performance in diesem Jahr bei weitem noch nicht wett gemacht werden: Die Credit Suisse steht mit minus 36 Prozent zu Buche, die UBS mit minus 31 Prozent.

Wie steht es um die beiden Schweizer Grossbanken? "Im europäischen Vergleich sind sie in einer relativ guten Position", meint Versondert, der sich in seiner Tätigkeit für die Independent Credit View als Senior Credit Advisor auf die Analyse der europäischen Bankenlandschaft fokussiert. Günstiger sei dabei sicherlich die Situation bei der UBS, welche den Umbruch schon früher einläutete und während des internen Umbaus auch von einem freundlicheren Marktumfeld profitiert habe.

CS wird zu negativ dargestellt

Aber auch an der Credit Suisse - die in den letzten 12 Monaten so etwas wie der Prügelknabe der Schweizer Börse war – kann Versondert Positives abgewinnen: "Die CS hat alle Chancen, aus eigener Kraft wieder auf eine bessere Position zurück zu kommen." Die Bank habe sich in der Vergangenheit schon häufiger neu erfinden müssen - und es auch immer wieder geschafft.

"Derzeit wird die CS in vielen Fällen etwas zu negativ dargestellt", so Versondert weiter. Zwar hätten die bankinternen Aufräumarbeiten erst begonnen und könnten mit der neuen Organisationsstruktur auch neue "Nester" für Ineffizienzen und Ertragsbelastungen entstehen, doch stünde die Bank deutlich besser da als etwa eine Deutsche Bank, "die von der Vielfalt ihrer Geschäfte und von der Grösse ihrer Belastungen sicherlich ungleich mehr Aufgaben zu erledigen hat als die CS."

Im cash-Talk verrät Guido Versondert ausserdem, was er vom für 2017 geplanten separaten Börsengang des Schweizer Geschäfts der Credit Suisse hält.