Halsbrecherisch oder wohlkalkuliert?  Der Ritt auf dem "eFoil" im Hafenbecken der Wolfsburger Autofabrik ist nur eine Facette im digitalen Auftritt, mit dem der 62-Jährige das Interesse für den Wandel von Volkswagen zu einem Technologiekonzern bei einem möglichst breiten Publikum wecken will. Damit möchte Diess auch bei Anlegern punkten.

 

Analysten und Kommunikationsexperten sind gespalten, ob das gelingen kann. "Investoren interessiert am Ende des Tages nur das, was VW fundamental liefert", sagt Arndt Ellinghorst vom Investmenthaus Bernstein. Andere sehen die Mulitmedia-Kanäle als Hilfsmittel, um die Botschaften von Volkswagen zu verstärken.

Mit der Surfbrett-Aktion bedankte sich Diess bei der Belegschaft per Video für ein aussergewöhnlich gutes erstes Halbjahr. Er will die Mitarbeiter damit auch für die Neuausrichtung gewinnen. Die Message: VW ist hip. Der Chef selbst steht für die Transformation. Und er hat sichtlich Spass dabei.

Vor Diess stellte sich bereits Facebook-Chef Mark Zuckerberg öffentlichkeitswirksam auf ein Elektrosurfbrett. Hierzulande nutzen mehrere Chefs deutscher Dax-Konzerne soziale Medien, kein anderer hat laut "Manager Magazin" auf Linkedin aber soviele Follower wie der VW-Chef.

"Herbert Diess kommuniziert die strategischen Themen des Unternehmens. Über Social Media erreicht er in Echtzeit Kunden, Mitarbeiter, Investoren und Journalisten auf der ganzen Welt", erläutert Michael Manske, Leiter der CEO-Kommunikation von Volkswagen.

Schmaler Grat

VW hat eigens ein PR-Team eingerichtet, das Posts ins Internet stellt, Diess bei Interviews begleitet und seine Reden schreibt. Der Konzernchef schreibt Tweets auch selbst und berichtet auf Linkedin auch schonmal über Probleme bei der Suche nach E-Ladestationen bei der Elektroautofahrt zum Gardasee.

Seit dem Start der CEO-Kommunikation vor gut einem Jahr ist der Aktienkurs um rund 46 Prozent gestiegen. Das Unternehmen selbst führt das nicht in erster Linie auf den Medienauftritt zurück, sondern darauf, dass der von Diess vorangetriebene Konzernumbau Erfolge aufweise. Im ersten Halbjahr schüttelte Volkswagen die Corona-Krise ab und erzielte - wie viele Konkurrenten auch - einen Rekordgewinn.

Für Diess ist der Ritt auf der Welle ein schmaler Grat. Zwei Mal bereits drohte ihm ein jähes Ende seiner Karriere bei Volkswagen. Zuletzt wurde sein Vertrag als Konzernchef um zwei Jahre bis 2025 verlängert. Die Familieneigner Porsche und Piech haben die Medien-Aktivitäten lange skeptisch gesehen, akzeptieren sie inzwischen aber, solange die Dividende stimmt.

«Bei VW wird viel geplaudert»

Mit Hilfe sozialer Medien könne ein Unternehmen seine Strategie transportieren, meint Bernstein-Analyst Ellinghorst. Damit alleine werde jedoch kein Mehrwert geschaffen. "In Punkto Unternehmenswert wird bei VW viel geplaudert, signifikante Massnahmen fehlen aber noch. Das weiss auch Herbert Diess."

Robert Halver, Kapitalmarktexperte der Baader Bank, sieht medienwirksame Auftritte wie den auf dem Surfbrett kritisch. "Das ist das Nachmachen von Elon Musk." Diess solle sich besser auf deutsche Tugenden wie Qualität und Innovation besinnen, statt auf der Marketingwelle zu reiten, rät Halver.

Den Tesla-Chef hat Diess beim Schwenk in die E-Mobilität als Vorbild genommen. Ein Video zeigte ihn zusammen mit Musk im vergangenen Jahr auf dem Braunschweiger Flughafen, wie die beiden bei einer gemeinsamen Fahrt mit dem VW-Elektroauto ID.3 fachsimpeln.

Die mediale Aussage von Diess sei: "Wir sind nicht mehr der alte, etwas angestaubte Autokonzern mit einer Staatsbeteiligung", sagt ein Fondsmanager, der namentlich nicht genannt werden will. VW sei der Autobauer, der am schnellsten in die Elektromobilität wechsele. Wenn der Konzern dabei gute Zahlen liefere, seien Medienauftritte "völlig in Ordnung".

Ich geb' Gas - das macht Spass

Auf Twitter mischt sich Diess auch in die Debatte um eine klimaschonendere Energieerzeugung ein, spricht sich für einen schnelleren Kohleausstieg aus.

Ein auf Linkedin gezeigtes Video zeigt Diess aber auch lachend am Steuer eines Luxussportwagens Bugatti Chiron bei 380 Stundenkilometern auf der Teststrecke: "Eine unglaubliche Erfahrung, aber eben auch ein sehr hoher Verbrauch. 50, 60 Liter pro 100 Kilometer dann und damit auch hohe CO2-Emissionen", sagt der Konzernchef. "Nicht mehr ganz zeitgemäss, vor allem nicht zukunftssicher. Von daher schicken wir ihn besser zum Elektrifizieren."

Man müsse nicht alles gut finden, was Diess mache, meinte ein Branchenkenner. "Aber die Transformation von Volkswagen vom klassischen Hardware-Hersteller zum Mobilitätsanbieter verkörpert er extrem gut – sehr progressiv, sehr provokant, aber sehr glaubwürdig."

Ein Kleinanleger lasse sich damit vielleicht beeindrucken, ein analytisch denkender professioneller Investor eher nicht. Der Experte bezweifelt, dass der Börsenwert dadurch gesteigert werden kann.

Dafür lieferte Diess unlängst einen Gegenbeweis: Als Volkswagen bei dem auf LinkedIn übertragenen "Power Day" Mitte März den Bau von sechs Batteriezellfabriken in Europa ankündigte, legte die Vorzugsaktie stark zu und erreichte am 18. März mit 252 Euro ein Jahreshoch.

Der Börsenwert sprang auf 143 Milliarden Euro, drei Viertel mehr als zu Jahresanfang. Ein weiterer Kursanstieg schien vorgezeichnet. Doch seither bröckelte der Kurs. Vom Ziel einer Börsenbewertung von 200 Milliarden Euro ist VW mit zuletzt rund 122 Milliarden Euro nach wie vor weit entfernt. Tesla bringt fast fünf Mal soviel auf die Waage. 

(Reuters)