"Wir haben in den letzten zehn Jahren etwas an Strahlkraft verloren, gleichzeitig haben wir grossartige Produkte gekauft", sagte Firmenchef Christian Klein kürzlich, der zusammenführen muss, was sein wortgewaltiger Vorgänger Bill McDermott durch Zukäufe von Cloud-Spezialisten zusammengetragen hat. Und auf diesem Weg muss der 40-Jährige die rund 400'000 Kunden auch noch mitnehmen, die sich bisher mit der langwierigen und teuren Auslagerung der gesamten Steuerungsprozesse ihres Unternehmens in die Datenwolke sehr schwer tun und den Schritt entsprechend hinauszögern.

"Weniger als zehn Prozent der Bestandskunden haben ihre Reise zu S4/Hana tatsächlich begonnen. SAP muss den Kunden die Umstellung erleichtern", sagt Gartner-Analyst Christian Hestermann über das Software-Flaggschiffprodukt S4/Hana. SAP selbst veröffentlicht dazu keine Gesamtzahl. Viele Kunden scheuen mit Blick auf ihre über Jahre gewachsenen komplexen Systemlandschaften aus verschiedenen Anwendungen und Daten vor dem Schritt in die Cloud zurück. Überzeugungsarbeit für den Wechsel soll nun das am Mittwoch vorgestellte Angebot Rise leisten, mit dem der Firmensoftware-Marktführer Kunden bei der Migration stärker an die Hand nehmen will.

Wirkliche Begeisterung löste Klein dabei nicht aus. Markus Golinski von der Fondsgesellschaft Union Investment spricht von einem "eher evolutionären als revolutionären" Angebot. Der Firmenchef der auf digitale Transformationsprozesse spezialisierten Softwareschmiede Schneider Neureither & Partner, Michael Eberhardt, fasst zusammen, was sich Kunden erhoffen: "Der Kunde will beim Wechsel in die Cloud deutliche Vorteile erhalten, wie bessere Konditionen und die Abschaffung von Abhängigkeiten oder geringere Investitionen durch eine bessere Ressourcenverteilung." Für diejenigen, die am Ende nicht zufrieden sind, forderte die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) Rückkehroptionen. Lizenzen-Fachmann Thomas Henzler sagt: "Sollte sich im Rahmen einer Cloudtransformation herausstellen, dass ein On-Premise-Produkt doch besser zu einem Anwendungsfall passt, sollte im Vorfeld klar sein, wie ein Weg zurück möglich ist."

Alternativlos

"Man muss sich die Frage stellen, ob SAP mit den Kernprodukten in der Cloud zu spät dran ist. Aber es gibt keine Alternative zu dieser Entwicklung", sagt Fondsmanager Golinski. Und SAP hat die Latte selbst hochgehängt. 2025 soll der Cloud-Umsatz bei mehr als 22 Milliarden Euro liegen. 2020 waren es etwa acht Milliarden Euro - auf die SAP vor allem durch Zukäufe wie die kurz vor dem Börsengang stehende US-Tochter Qualtrics oder Concur und Ariba kam.

"Der Weg in die Cloud birgt immer das Risiko, dass Kunden auf dem Weg abspringen, oder die Gelegenheit nutzen, sich von angesammelter 'Shelfware' zu befreien", sagt Matthias von Blohn, Manager beim SAP-Konkurrenten Oracle, der selbst früher jahrelang für die Walldorfer tätig war. Wohl auch deswegen hält sich SAP eine Hintertür offen und bietet Kunden Hybrid-Modelle an. Bisher gibt es S4/Hana als Lizenz- wie auch als Cloud-Version. Der Umstieg auf ein Cloud-Modell, in dem die Software gemietet wird, birgt für Unternehmen zwar Vorteile wie einen geringeren IT-Aufwand, leichtere Skalierung und schnellere Innovationszyklen, aber eben auch Probleme bei der Integration von Eigenprodukten und eine höhere Abhängigkeit von SAP. Siemens ist ein Pilotkunde und hat die Transformation gestartet.

Mit der Ankündigung des neuen Cloud-Programms Rise und der Übernahme des Berliner Softwarespezialisten Signavio wollte SAP auch einen Schlussstrich unter die jüngsten Negativschlagzeilen ziehen. Zuletzt hatte SAP eher mit dem Rückzug von Spitzenmanagern und mit zusammengestrichenen Prognosen von sich Reden gemacht. "Im Moment herrscht bei SAP ziemlich viel Unruhe. Es steht ein Generationenwechsel an, bei dem sich das Unternehmen komplett neu ausrichtet. Dabei muss das Cloud-Geschäft auf die Spur und Wachstum sowie Marge langfristig in Einklang gebracht werden", sagt Aktionärsvertreter Ingo Speich vom Wertpapierhaus Deka. 

(Reuters)