Siemens Energy-Chef Christian Bruch hat viel Überzeugungsarbeit geleistet. Im Frühjahr hatten Pessimisten den Börsenwert der Energietechnik-Sparte von Siemens auf nur zehn Milliarden Euro veranschlagt. Doch nach einem Gesprächsmarathon des ehemaligen Linde-Managers mit Analysten und Investoren billigen die Experten dem Unternehmen im Schnitt inzwischen einen Wert von mehr als 20 Milliarden zu.

Wenn Siemens Energy am Montag (28. September) sein Debüt an der Frankfurter Börse feiert, könnte der erste Kurs auf der Anzeigetafel dann bei 29 oder 30 Euro aufleuchten. Die Aktionäre des Siemens-Konzerns bekommen über das Wochenende für je zwei ihrer Dividendenpapiere eine Siemens-Energy-Aktie zusätzlich ins Depot gebucht.

Nach der Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers ist Siemens Energy das zweite Beiboot der Siemens-Flotte, das der scheidende Vorstandschef Joe Kaeser von dem Münchner Industriekonzern abspaltet. Er hofft darauf, dass die Börse Siemens ohne die zuletzt mageren Renditen der Turbinen für Kohle- und Gaskraftwerke und ohne die Windräder von Siemens Gamesa künftig mehr als Technologiekonzern wahrnimmt - und damit höher bewertet. Deshalb war es dem Konzern wichtig - ganz anders als bei Healthineers -, gleich von Anfang an die Mehrheit an Siemens Energy abzugeben.

«Hilf Dir selbst»

Einen regelrechten "Energieschub" erwartet Jefferies-Analyst Simon Toennessen für die Siemens-Aktie. Der Schweizer Rivale ABB etwa werde - je nachdem, woran man das messe, 20 bis 35 Prozent höher bewertet als Siemens. Sein Kursziel hat er auf 135 von 126 Euro angehoben. In Siemens-Kreisen macht man eine andere Rechnung auf: Die Teile des künftigen Kerngeschäfts - die Fabrik-Automatisierung, die Infrastrukturtechnik und die Züge - seien zusammen 30 Milliarden Euro mehr wert als die Börse ihnen bisher zubillige.

Doch auch für Siemens Energy könnte die Abspaltung zu einem Befreiungsschlag werden. Unter dem Konzerndach hätte die Sparte in den nächsten Jahren wegen der schwachen Margen immer den Kürzeren gezogen, wenn es um Investitionen geht. Doch die sind dringend nötig, denn das Unternehmen muss den Ausstieg aus der traditionellen Energieerzeugung aus Kohle und den Sprung in die Welt der erneuerbaren Energien schaffen - und gleichzeitig sparen, um schnellstmöglich wieder schwarze Zahlen zu schreiben.

"Hilf Dir selbst" sei das Motto der nächsten Jahre, schreibt Toennessen. Siemens Energy gehören 67 Prozent an der spanischen Siemens Gamesa, dem größten Hersteller von Windrädern auf hoher See, der aber mit dem harten Wettbewerb kämpft. Die besten Renditen liefert voraussichtlich noch für lange Zeit die Wartung von Kohle- und Gas-Kraftwerken, wo Siemens 25 Prozent Weltmarktanteil hat. Seit Bruch mit seiner Erfahrung von Linde Vorstandschef ist, hat er auch dem Zukunftsthema Wasserstoff neue Glaubwürdigkeit eingehaucht.

Dreimal Siemens im Dax?

55 Prozent der Anteile an Siemens Energy gehören von Montag an den Siemens-Aktionären, 9,9 Prozent dem Pensionsfonds für die Belegschaft des Konzerns. Und die 35,1 Prozent, die zunächst bei der Siemens AG bleiben, sollen innerhalb von 12 bis 18 Monaten in Richtung 25 Prozent abschmelzen.

Wenn auch der Pensionsfonds wie erwartet sein "Klumpenrisiko" in Gestalt eines milliardenschweren Siemens-Energy-Aktienpakets auflöst, könnte der Streubesitz in absehbarer Zeit auf 75 Prozent steigen - und das Unternehmen spätestens in einem Jahr zu einem Dax-Kandidaten machen. Am Montag ist Siemens Energy aus technischen Gründen - wie bei Abspaltungen üblich - schon für einen Tag das 31. Dax-Mitglied.

Gut möglich, dass sich 2021 drei Konzerne mit dem "Vornamen" Siemens in dem Leitindex tummeln. Denn bei Siemens Healthineers liegt es angesichts eines Börsenwertes von 40 Milliarden Euro nur am geringen Streubesitz, dass das Erlanger Unternehmen nicht längst im Dax ist. Doch das könnte sich mit der geplanten milliardenschweren Kapitalerhöhung zur Übernahme des US-Rivalen Varian ändern, bei der die Siemens AG nicht mitziehen und ihren Anteil bis auf 72 Prozent verwässern lassen will.

(Reuters)