Schlechte Nachrichten für das Schweizer Vorsorgesystem und für die Sparguthaben auf Bankkonten: Das Zinsniveau in der Schweiz dürfte noch sehr lange auf dem aktuell rekordtiefen Niveau bleiben. Das zumindest die Meinung von Tom Gitzel, Chefökonom der liechtensteinischen VP Bank. "Die nächsten anderthalb Jahre wird man keine Zinserhöhung sehen. Der Horizont verschiebt sich immer weiter nach hinten. Realistisch wäre wohl Ende 2020, Anfang 2021", sagt er im cash-Börsen-Talk.

Um höhere Zinsen zu rechtfertigen, brauche man anziehende Inflationsraten, so Gitzel. Und die Schweizer Kerninflationsrate – also die Preissteigerungen ohne die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise – von 0,5 Prozent ist somit zu niedrig, um an der Zinsschraube zu drehen. Wie Chefökonom Gitzel im Video weiter ausführt, ist die Schweizerische Nationalbank (SNB) aber auch an ihr europäisches Pendant, die Europäische Zentralbank (EZB), gebunden.

Seit 2015 beträgt der Zins auf Sichteinlagen bei der Nationalbank -0,75 Prozent, das Zielband für den Dreimonats-Libor liegt zwischen -1.25 und -0,25 Prozent. Damit will die SNB den Schweizer Franken vor einer zu starken Aufwertung schützen. Es gibt aber auch Beobachter, die den Einfluss der Negativzinsen auf den Frankenkurs anzweifeln. Sie rechnen deshalb damit, dass die SNB einen Zinsschritt wagt, ohne auf die Taten der EZB zu warten. Schweden zum Beispiel reduzierte die Negativzinsen im Dezember von -0,5 Prozent auf -0,25 Prozent, ohne dass sich die Krone danach merklich aufgewertet hätte.

Fed hat kalte Füsse bekommen

Zumal die Schweizer Wirtschaft derzeit mit solidem Wachstum und beinahe Vollbeschäftigung überzeugt. Ein weiterer Grund für Kritik an den tiefen Zinsen sind die Nebenwirkungen für Sparer und Investoren: Sie haben zum Beispiel zu Ungleichgewichten am Immobilien- und Hypothekarmarkt geführt sowie die Situation für die Schweizer Vorsorgewerke deutlich verschlechtert.

An den Finanzmärkten sorgt derzeit aber vor allem die Zinspolitik der amerikanischen Notenbank für Aufsehen. Die Absicht eines gemächlicheren Vorgehens der Fed hat mitgeholfen, dass sich die Aktienmärkte im laufenden Jahr von ihrem Absturz mehr als erholt haben. Tom Gitzel ist diesbezüglich aber skeptisch. "Die US-Notenbank hat kalte Füsse bekommen oder auch Angst vor der eigenen Courage", sagt er im cash-Börsen-Talk. Die Wirtschaftsdaten aus den USA seien immer noch sehr solide. Bleibt das so, rechnet er auch 2019 mit weiteren Zinserhöhungen. Dies im Unterschied zu anderen Ökonomen, die im laufenden Jahr gar mit einer Zins-Nullrunde in den USA rechnen.

Schliesslich achtet die US-Notenbank stärker als andere Zentralbanken auch auf die Entwicklung an den Finanzmärkten. "Das macht ökonomisch auch Sinn", so Gitzel. Denn fallende Aktienkurse führen häufig zu eingetrübter Stimmung bei Unternehmen und zu schlechterer Investitionslaune. Das habe dann tatsächlich realwirtschaftliche Auswirkungen, so Gitzel.

Tom Gitzel beantwortet im cash-Börsen-Talk auch Fragen zum Euro-Franken- und zum Euro-Dollar-Kurs. Was er von den Aktienmärkten in diesem Jahr noch erwartet, sehen Sie im Video.