US-Präsident Donald Trump will, dass Amerikaner künftig für Medikamente nicht mehr bezahlen müssen als Menschen in den Ländern mit den niedrigsten Preisen. Er werde eine sogenannte «Meistbegünstigungspolitik» einführen, «wobei die Vereinigten Staaten den gleichen Preis zahlen wie das Land, das irgendwo auf der Welt den niedrigsten Preis zahlt». So sollen, kündigte Trump an, die Arzneimittelpreise in den USA um 30 bis 80 Prozent sinken.

Die Nachricht brachte Pharmawerte wie Roche und Novartis unter Druck. Die Titel der beiden Unternehmen aus Basel sind am Montag vorübergehend um bis zu 3,5 Prozent gefallen. Der Plan des amerikanischen Präsidenten «könnte sich sehr negativ auf die Branche auswirken», schrieb die Bank Vontobel in einem Kommentar am Montag.

Der zuständige Experte, Stefan Schneider, erinnert an eine Aussage von Novartis-CEO Vasant Narasimhan: «Was das Meistbegünstigungsprinzip betrifft, so denke ich, dass es für die Branche verheerend wäre und, wenn es denn ernsthaft umgesetzt würde, so hätte dies wohl zur Folge, dass alle Unternehmen ihre mittel- bis langfristigen Prognosen überdenken müssten.»

Die Schlagzeilen zur Meistbegünstigungspolitik des US-Präsident erscheinen «alarmierend», schreibt die Privatbank Berenberg am Montag. Die Expertinnen Luisa Hector und Kerry Holford haben die möglichen Auswirkungen der internationalen Referenzpreise auf die 15 Arzneimittel analysiert, die für die nächste Preisverhandlungsrunde unter dem Inflation Reduction Acts (IRA) ausgewählt wurden. Sie gehen von einem 20- bis 70-prozentigen Effekt auf den staatlichen Preis aus, der bereits rund 60 Prozent unter dem Bruttopreis liege.

Wie die Analystinnen weiter schreiben, ist Bristol-Myers den Preissenkungen in den staatlichen Kanälen am stärksten ausgesetzt, Sanofi am wenigsten. Roche und Novartis sind etwas stärker als Sanofi, aber deutlich weniger intensiv betroffen als Bristol-Myers und auch als Merck und Pfizer.

Noch sind wichtige Fragen zur US-Meistbegünstigungspolitik aber nicht geklärt. Beispielsweise: Auf welche Arzneimittelpreise ausserhalb der USA wird Bezug genommen? Wie wird der Preis bestimmt, wenn das Medikament ausserhalb der USA nicht erhältlich ist? Werden bestimmte Medikamentenklassen ausgenommen, beispielsweise Arzneien gegen HIV oder gegen seltene Krankheiten? Wird es Gerichtsverfahren geben, und wie gehen sie aus? 

«Pill Penalty»: AstraZeneca, AbbVie und Eli Lilly würden von Aufhebung profitieren

Schon seit einiger Zeit läuft in den USA die Debatte um den sogenannten «Pill Penalty» («Pillenstrafe»). Es handelt sich um ein Erbe der Biden-Regierung: Das Gesetz schreibt Preiskontrollen vor, die für niedermolekulare Arzneimittel (Pillen) neun Jahre nach der Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde FDA einsetzen. Für Biologika treten die Preiskontrollen vier Jahre später in Kraft. 

Trump will nun, wie er Mitte April verlauten liess, die «Pillenstrafe» angehen und «die Behandlung verschreibungspflichtiger niedermolekularer Arzneimittel an die Behandlung biologischer Produkte angleichen». Erstgenannte würden somit erst später von der staatlich gesteuerten Preissetzung erfasst. Die vier zusätzlichen Jahre würden sich positiv auf die Branche auswirken, heisst es. Während Vertreter des Pharmasektors die Novelle begrüssen, sprechen Patientenorganisationen von einem Schutz hoher Gewinne zulasten der Bürgerinnen und Bürger.

Inzwischen hat sich die Privatbank Berenberg dem Thema «Pill Penalty» analytisch angenähert. Die Expertinnen fanden, Astrazeneca, AbbVie und Eli Lilly würden am meisten von einer Aufhebung profitieren. Ihre US-Verkäufe von niedermolekulare Arzneimitteln würden bis 2030 steigen und dann die entsprechenden Umsätze anderer grosser Pharmaunternehmen übersteigen. Hingegen würden die US-Pillen-Verkäufe von beispielsweise Novartis, GSK, Pfizer und Bristol-Myers zurückgehen.

Hängen die Europäer die Amerikaner doch ab?

Die beiden Schweizer Pharmagrössen Roche und Novartis wurden auch in einer Berenberg-Analyse von Anfang Mai abgedeckt. Diese steht freilich unter dem Vorbehalt kommender Anpassungen aufgrund des sich ändernden Pharmaumfelds.

Doch ihr zufolge werden europäische Pharmaunternehmen in den nächsten Jahren im Schnitt stärker wachsen als US-Pharmaunternehmen. Und klammert man das Geschäft mit Abnehmmitteln aus, so schneiden die Europäer noch einmal besser ab als die Amerikaner.

In der folgenden Tabelle sind die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten (CAGR) der Umsätze und die Gewinne je Aktie in den Jahren 2024 bis 2028 zusammengestellt. 

  CAGR Umsatz (%)  CAGR GpA (%)
Pharma Europa im Durchschnitt 7 10
Pharma Europa im Durchschnitt - ohne Abnehmmittel  5 9
- Astrazeneca 6 10
- GSK 4 7
- Novo Nordisk 14 14
- Novartis 4 7
- Roche 5 7
- Sanofi 8 12
Pharma USA im Durchschnitt 5 7
Pharma USA im Durchschnitt - ohne Abnehmmittel 1 2
- AbbVie 7 10
- Bristol-Myers -4 -5
- Eli Lilly 21 26
- Merck & Co 3 5
- Pfizer -2 -1

Tabelle: Vergleich grosser europäischer und amerikanischer Pharmaunternehmen / Quelle: Berenberg / Stand: 6. Mai 2025.

Laut der Berenberg-Prognose werden Roche und Novartis weniger gut abschneiden als der Durchschnitt der europäischen Pharmagrössen. Sie werden sich allerdings auch nicht besser entwickeln als die US-Branchennachbarn.

Für Roche stellen die Experten eine mittlere GpA-Entwicklung von 7 Prozent und ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 5 Prozent in den Jahren 2024 bis 2028 in Aussicht. Für Novartis sagen die Analystinnen eine mittlere GpA-Entwicklung von 7 Prozent und ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 4 Prozent in den Jahren 2024 bis 2028 voraus (Europa: 10- respektive 7-prozentige Entwicklung von GpA und Umsatz / USA: 7- respektive 5-prozentige Entwicklung von GpA und Umsatz).

Beide Unternehmen werden von Berenberg mit «Hold» eingestuft. Übersetzt heisst das: Der Kurs dürfte sich vom gegenwärtigen Stand aus nur begrenzt nach oben oder nach unten bewegen. Für den Roche-Genussschein veranschlagen die Expertinnen ein Kursziel von 290 Franken, für die Novartis-Aktie eines von 89 Franken. Zum Prognosezeitpunkt ergab sich daraus eine mittelfristige Kursbewegung von plus 8 Prozent bei Roche und von minus 5 Prozent bei Novartis.

Mit dem «Hold»-Rating für Roche ist die deutsche Privatbank etwas zurückhaltender als die Mehrheit der von Bloomberg erfassten Analysten. Die meisten empfehlen den Genussschein zum Kauf. Hingegen befinden sich die Expertinnen von Berenberg in einer 15-köpfigen Analystengruppe, die Novartis mit «Hold» einstufen. Neun weitere sagen «Buy», fünf raten zu «Sell».

Kein Analyst hat am Montag schon eine Neubewertung für Roche oder Novartis vorgenommen. Doch man kann mit Anpassungen rechnen, da Trump wohl weiter an seinen Plänen arbeitet.

Eli Lilly versus Novo Nordisk

Ein weiterer Blick auf die Zahlen lohnt: Ihnen zufolge wird das Wachstum diesseits und jenseits des Atlantiks von je einem Unternehmen getragen, in Europa von Novo Nordisk, in den Vereinigten Staaten von Eli Lilly. Beide Firmen sind im Feld der Abnehmprodukte, einem Wachstumsmarkt, führend. Doch wie es aussieht, wird sich Eli Lilly besser entwickeln als Novo Nordisk.

Für das US-Unternehmen sagt Berenberg ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 21 Prozent in der Zeit von 2024 bis 2028 voraus. Im Jahr 2025 sollen es 34 Prozent sein. Eli Lilly selbst hat eine Umsatzsteigerung von 29 bis 35 Prozent in Aussicht gestellt; die Verkäufe sollen von 45 Milliarden Dollar im Jahr 2024 auf 58 bis 61 Milliarden Dollar steigen. Das obere Ende dieser Spanne stimmt praktisch genau mit der Prognose der Berenberg-Analystinnen überein.

Für das dänische Unternehmen Novo Nordisk gehen die Expertinnen von einem 14-prozentigen Wachstum im Schnitt der nächsten Jahre aus. 17 Prozent Umsatzwachstum haben sie für das laufende Jahr vorausgesagt. Das Management selbst hat am vergangenen Mittwoch den Ausblick gesenkt. Neu geht es von einem 13- bis 21-prozentigen Zuwachs der Verkäufe zu konstanten Wechselkursen aus. Zuvor stellte es 16 bis 24 Prozent in Aussicht. Die Berenberg-Prognose fällt daher so oder so in die Spanne, welche das Unternehmen um CEO Lars Fruergaard Jørgensen genannt hat.

Am Beispiel der zwei Pharmariesen zeigt sich, dass die Europäer nicht durchwegs stärker sind als die Amerikaner - anders als es der Blick auf den durchschnittlichen Wachstumsausblick für die beiden Kontinente vermuten lässt.

Im Weiteren: Anleger werden kaum nur auf das Umsatzwachstum schauen, sondern auch auf andere Kennzahlen, etwa den Gewinn pro Aktie, der in der oben stehenden Tabelle erfasst ist. Illustrativ ist hier Pfizer. Laut den Berenberg-Expertinnen werden die Verkäufe im laufenden und in den kommenden Jahren stagnieren oder sogar zurückgehen - eine Einschätzung, die Pfizer-CEO Albert Bourla bestätigt: «Wir werden in den nächsten drei Jahren kein starkes Umsatzwachstum verzeichnen», sagte er Ende April vor Analysten. Grund ist der wachsende Wettbewerb infolge ablaufender Patente. 

Jedoch: «Wir erwarten, dass wir eine GpA-Wachstumsstory werden.» Der Gewinn pro Aktie (GpA) soll es demnach richten. Die Kosten sollen gesenkt, die Produktivität erhöht und die Margen erweiterte werden, sagt das Management weiter. Bloss: 2024 betrug der GpA 3,11 Dollar. 2025 wird er laut firmeneigener Guidance 2,80 und 3,00 Dollar betragen, also um einen einstelligen Prozentwert zurückgehen - das ist ähnlich, wie es die Berenberg-Analystinnen prognostizieren. Sie sagen einen Rückgang des GpA um 6 Prozent in diesem Jahr und um 1 Prozent im Schnitt der Jahre 2024 bis 2028 voraus. Anders ausgedrückt: Das Pfizer-Management wird erst noch liefern müssen, damit eine GpA-Wachstumsstory Tatsache wird.

Reto Zanettin
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