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Um die Dividendenabgänge bereinigt trennen den Swiss Market Index (SMI) keine zwei Prozent mehr vom Stand Ende Dezember. Und selbst bis zum Rekordhoch von Mitte Februar sind es bloss noch sieben Prozent. Das ist beeindruckend und überraschend zugleich. Denn die Gewinnerwartungen für die hiesigen Unternehmen sind seit Monaten im Fallen begriffen. Mit anderen Worten: Die Aktienkurse koppeln sich immer weiter von den Unternehmensgewinnen nach oben ab. Dadurch öffnet sich eine nicht ungefährliche Schere.

Der Schweizer Aktienmarkt ist heute sogar teurer, als er es nahe dem Rekordhoch von Mitte Februar war. Doch anstatt zu warnen, befeuern viele Analysten diese Entwicklung. Während sie ihre Gewinnerwartungen mit dem dicken Rotstift überarbeiten, erhöhen sie ihre Kursziele immer häufiger sogar. Dabei bedienen sie sich entweder technischer Kniffe wie etwa tieferer durchschnittlicher Kapitalkosten, oder greifen anderweitig in die Effektkiste – beispielsweise indem sie zukünftige Firmenübernahmen, Zusammenschlüsse oder Aktienrückkaufprogramme vorsorglich schon mal ins Bewertungsmodell miteinbauen.

Ersteres war zuletzt etwa bei Autoneum (Vontobel) oder der Partners Group (Vontobel, J.P. Morgan) letzteres bei Roche (Bryan Garnier) und Richemont (Bernstein Research) zu beobachten.

Dass sich tiefere Gewinnschätzungen und höhere Kursziele in diesen Tagen nicht zwangsläufig widersprechen müssen, zeigt sich an den Beispielen von AMS und Richemont.

Erst vor wenigen Tagen strich Analyst Sandeep Deshpande von J.P. Morgan seine diesjährigen Gewinnschätzungen für AMS um 23,6 Prozent und jene für das nächste Jahr immerhin noch um 18,4 Prozent zusammen. Dennoch stufte er die Aktien des Sensorenherstellers in Erwartung operativer Verbesserungen bei Osram Licht mit einem Kursziel von 20 (zuvor 15,50) Franken von "Neutral" auf "Overweight" herauf. Man lese und staune – und lese vorsichtshalber gleich noch einmal.

Kursentwicklung der Richemont-Aktien über die letzten drei Wochen (Quelle: www.cash.ch)

Die bekannte Luxusgüteranalystin Louise Singlehurst zauberte am Freitag hingegen bei den Namenaktien von Richemont ein höheres 12-Monats-Kursziel von 76 (zuvor 63) Franken aus dem Zylinder, obwohl sie beim Luxusgüterkonzern für das laufende Jahr von einem deutlich tieferen Gewinn ausgeht. Das neue 12-Monats-Kursziel ist sogar so attraktiv, dass die für Goldman Sachs tätige Analystin die Papiere von "Neutral" auf "Buy" heraufstuft.

Ich bleibe bei meiner Aussage, dass sich bei vielen Schweizer Unternehmen über die letzten Wochen und Monaten eine nicht ungefährliche Kluft zwischen den durchschnittlichen Gewinnerwartungen und der Aktienkursentwicklung gebildet hat. Umso mehr dürfte die hierzulande ab Mitte Juli anlaufende Halbjahresberichterstattung zu einer Bewährungsprobe für die Börse werden.

Zumindest bei AMS bestimmt seit letztem Donnerstag allerdings sowieso ein ganz anderes Thema darüber, in welche Richtung sich der Aktienkurs zünftig wohl bewegen wird...

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Sonova gilt als ein Vorzeigeunternehmen. Mit der Technologieplattform "Marvel" – vermutlich in Anlehnung an das Comic-Superhelden-Universum so benannt – wird der Hörgerätehersteller aus Stäfa einmal mehr eindrücklich seiner Rolle als Technologieführer gerecht.

Dank der neuen Technologieplattform konnte Sonova der Konkurrenz ein Schnippchen schlagen und ihr selbst während der pandemiebedingten Absatzflaute der letzten Wochen noch Marktanteile abjagen. Das lassen zumindest Absatzstatistiken vermuten.

Schon bald könnte es der Technologieführer mit einem Rivalen von ganz anderem Kaliber zu tun bekommen. Denn wie die amerikanische Investmentbank Bernstein Research in einem Kommentar an ihre Kunden schreibt, will das amerikanische Kultunternehmen Apple künftig im Geschäft mit nicht-verschreibungspflichtigen Hörgeräten mitmischen.

Aufstieg und Fall der Aktien von Sonova während den letzten 12 Monaten (Quelle: www.cash.ch)

Während sich das iPhone schon eine ganze Weile als Richtmikrofon nutzen lässt, sieht die neuste Generation des Betriebssystems iOS sogar eine Funktion vor, die leise Töne verstärkt und mit welcher sich gewisse Frequenzen für das individuelle Hörempfinden verändern lassen.

Für Autorin Lisa Bedell Clive steht deshalb fest, dass die kabellosen AirPods von Apple herkömmlichen Hörgeräten längerfristig den Rang ablaufen könnten. Längerfristig deshalb, weil dies die regulatorischen Anforderungen vorderhand noch nicht möglich machen.

Dennoch empfiehlt die bekannte Medizinaltechnikanalystin die Aktien von Sonova schon heute mit "Underperform" und einem Kursziel von 155 Franken zum Verkauf. Man kann es ihr nicht verübeln.

 

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