Zeitenwende am Devisenmarkt: Erstmals seit Jahren gleicht sich die Zinspolitik auf beiden Seiten des Atlantiks an. Und sowohl die US-Notenbank Fed als auch die EZB wollen auf absehbare Zeit an ihren ultra-niedrigen Zinsen festhalten. Experten sehen damit die Zeit des starken Dollar vorerst beendet und rechnen längerfristig mit einer weiteren Aufwertung des Euro. Denn nach der Strategieänderung der US-Notenbank, die Fed-Chef Jerome Powell jüngst vorgestellt hatte, ist der Zinsvorteil des Greenback auf längere Zeit Geschichte. "Die Fed wird, wie die EZB, auf längere Zeit nichts an den Zinsen ändern", sagte Commerzbank-Experte Ulrich Leuchtmann voraus. "Das kratzt an der teuren Bewertung des Dollar."

Mit 1,1834 Dollar kostete der Euro 0,2 Prozent mehr als am Vortag - seit Mitte Mai hat er damit rund zehn Prozent aufgewertet. Bis Jahresende sagten die meisten von Reuters befragten Analysten einen weiteren Anstieg auf gut 1,20 Dollar voraus, danach dürfte es weiter aufwärts gehen. "Aus unserer Sicht ist alles dafür gegeben, dass wir uns für eine Zeit lang Richtung schwächerer Dollar bewegen", sagte der Chefvolkswirt der BayernLB, Jürgen Michels. "Dies bringt die EZB in gewisser Weise in ein Dilemma, weil sie über den Wechselkurs zusätzliche preisdämpfende Effekte reinbekommt."

Der Höhenflug bereitet der EZB einige Kopfschmerzen. "Wir beobachten das sorgfältig, denn der Kursanstieg des Euro hat eine Auswirkung auf unsere Inflation", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag nach dem Zinsbeschluss. Der EZB-Rat habe das Thema besprochen. Der Euro-Wechselkurs sei aber kein geldpolitisches Ziel. Verteuert sich eine Währung, werden Einfuhren günstiger - ein Effekt, der der EZB angesichts von Teuerungsraten von minus 0,2 Prozent im August ungelegen kommen dürfte. Mittelfristig strebt die Zentralbank eine Teuerung von knapp unter zwei Prozent an - dieses Ziel wurde verfehlt sie aber bereits seit Jahren.

«Das wirft uns nicht um»

"Diese verbale Intervention bleibt jedoch ein eher stumpfes Schwert, solange die EZB nicht erklärt, was sie konkret gegen eine mögliche kräftige Aufwertung unternehmen würde", sagte Ökonom Daniel Hartmann von der Schweizer Bank Bantleon. Folker Hellmeyer, Chefanalyst bei der Vermögensverwaltung Solvecon Invest, geht davon aus, dass die EZB nicht zuletzt vor dem Hintergrund des stärkeren Euro dem Vorbild Fed folgen und ebenfalls ein flexibleres Inflationsziel übernehmen dürfte. "Sonst liefe sie in das Risiko, schneller die Zinsen erhöhen zu müssen, und das würde den Euro aufwerten." Commerzbank-Experte Leuchtmann rechnet damit, dass die EZB nachlegt, wenn der Kurs weiter steigt. Dabei seien verbale Interventionen möglich, auch könnten Kaufprogramme aufgestockt werden. "Die Sorge der EZB ist vor allem eine schnelle Aufwertung, an die sich die Wirtschaft nicht anpassen kann."

Die deutsche Wirtschaft komme derzeit mit dem Euro gut zurecht, sagte der designierte Präsident des Bundesverbandes Grosshandel, Aussenhandel und Dienstleistungen (BGA), Anton Börner: "Das wirft uns nicht um. Wir haben ganz andere Baustellen als den Euro, wenn man sich den Zustand der Weltwirtschaft und das politische Umfeld anschaut." Zudem könnten sich die Unternehmen relativ gut gegen schwankende Kurse absichern.

Doch es ist nicht nur der wegfallende Zinsvorteil der USA, der den Euro in die Höhe treibt: Gerade in der Coronavirus-Pandemie zeige sich, dass die Euro-Zone viel besser dastehe als sie allgemein wahrgenommen werde, sagte Hellmeyer. Zwar wachse die US-Wirtschaft grundsätzlich schneller. Doch das Haushaltsdefizit sei in Europa inzwischen niedriger als in den USA, zudem hätten die Regierungen entschlossenere Konjunkturpakete auf den Weg gebracht. "Das wird zu positiven Überraschungen führen", sagte er.

Starker Euro schlecht für Exporteure

"Es scheint dennoch, als ob es die EZB in der Hochzeit der Coronakrise verpasst hat, sich um den Euro zu kümmern, wogegen die Fed ihre geldpolitischen Ziele sehr effizient verfolgte", meint Chefvolkswirt Otmar Lang von der Targobank. Die EZB müsse jetzt einen Weg finden, ihre bereits ultralockere Geldpolitik weiter zu lockern, um sich zumindest mittelfristig ihrem Inflationsziel anzunähern ohne gleichzeitig in die Liquiditätsfalle zu tappen.

Ein weiterer Effekt des schwächeren Dollar ist, dass sich die in Dollar abgerechneten Produkte von Exporteuren aus dem Euro-Raum im Ausland verteuern, was ihre Wettbewerbsposition tendenziell schmälert. Auf Sicht der nächsten fünf Jahre sieht BayernLB-Chefökonom Michels einen Euro-Wechselkurs um die 1,30 relativ zum US-Dollar als die relevante Grösse an: "Und da wird es natürlich auf der Exportseite noch mal eine Spur schwieriger als dies in den vergangenen Jahren der Fall war." Boomende Absatzmärkte und eine quasi unterbewertete Währung hätten in dieser Zeit für zusätzlichen Schub gesorgt: "Aber das wird sich ändern." 

(Reuters)