cash: Burn-out ist weit verbreitet. Inwiefern ist Langeweile am Arbeitsplatz, ein Bore-out, auch ein Problem?

Dr. Markus Grutsch: Es ist in der Tat ein Problem, und es wird von den Unternehmen zu wenig als ein solches wahrgenommen. Auch die Betroffenen selbst haben Hemmungen, darüber zu sprechen.

Wie kommt es zum Bore-out?

Oft stimmen die eigenen Talente oder Qualifikationen nicht oder nicht mehr mit den Jobanforderungen überein. Menschen und Jobprofile ändern sich mit der Zeit. Die Mitarbeiter fühlen sich dann unterfordert, sie langweilen sich. Die Folgen eines solchen Missverhältnisses zwischen persönlichen Erwartungen an den Job und den eigentlichen Jobanforderungen sind nicht zu unterschätzen.

Woran sieht man das?

Wenn man keinen persönlichen Anreiz findet, sich nicht profilieren kann, verliert man zusehends den Bezug zur Arbeit, man koppelt sich von der Arbeit ab, sieht den Sinn nicht mehr in der Tätigkeit. Eine sinnstiftende Arbeit macht aber einen wesentlichen Teil der Identität eines Menschen aus. Verschwindet diese Sinnstiftung, dann fällt der Mensch in ein Loch, in eine Identitätskrise. Die Folgen können Depressionen oder Energielosigkeit sein, also ähnlich wie bei einem Burn-out.

Oft fühlen sich Mitarbeiter wohl, aber es gibt schlicht zu wenig Arbeit.

Ja, das gibts natürlich auch. Ich habe dies zum Beispiel nach der Bankenkrise beobachtet, wo namhafte Kundenfrequenzen innert kurzer Zeit weggefallen sind. Dabei handelt es sich aber um strukturelle Probleme, denen mit Umstrukturierungsmassnahmen, Umschulung von Mitarbeitern oder Job-Enrichtmentprogrammen begegnet werden muss.

Gibt es denn Branchen, in denen Langweile am Arbeitsplatz besonders oft vorkommt?

Das ist schwierig zu sagen. Meiner Beobachtung zufolge ist der öffentliche Bereich eher davon betroffen. Aber es ist ein Problem, das in allen Branchen vorkommt. Man kann überall unterfordert sein, beziehungsweise Langeweile empfinden. Und Langweile ist ohnehin eine subjektive Wahrnehmung.

Sie sagen, Betroffene haben Hemmungen über Langweile am Arbeitsplatz zu sprechen. Weshalb?

Zu sagen, 'ich bin busy', war und ist chic. Doch zugeben, dass man zu wenig zu tun hat, sich unerfüllt fühlt, sich langweilt, wird tabuisiert. Und deshalb wird es auch oft in Mitarbeitergesprächen nicht angesprochen.

Welches sind denn klassische Vertuschungsstrategien?

Man sagt schlicht man sei 'busy', obwohl man nicht viel zu tun hat. Oder man verteilt die Arbeit, welche in zwei Stunden erledigt werden kann, auf den gesamten Arbeitstag. Und liefert dann zum Beispiel eine Präsentation dem Vorgesetzten ab, welche den ursprünglich geforderten Anspruch um Längen übertrifft.

Da müssten beim Chef doch die Alarmglocken schrillen.

So ist es, und er muss dann herausfinden: Hat die überengagierte Arbeit mit dem Perfektionismusanspruch des Mitarbeiters zu tun? Oder hat er schlicht nichts anderes zu tun? Nicht selten verbringen Mitarbeiter Stunden etwa mit der Erstellung einer Excel-Tabelle, weil sie es können und Freude daran haben.

Nehmen die Vorgesetzten diese Aufgabe zu wenig wahr?

Dies zeigen unsere Studien. Denn es ist nicht so, dass die Langweile bei Mitarbeitern tendenziell zunimmt, sondern eher, dass sich Führungskräfte zu wenig mit den Bedürfnissen des Mitarbeiters auseinandersetzen.

Was empfehlen Sie?

Vorgesetzte sollten regelmässig überprüfen: Stimmen die Fähigkeiten des Mitarbeiters mit den Jobanforderungen überein und kann der Mitarbeiter auch in Zukunft gefördert werden. Denn sowohl Jobanforderungen als auch die Bedürfnisse der Mitarbeitenden verändern sich ständig. Wenn Unternehmen proaktiv und regelmässig das Gespräch mit den Mitarbeitern suchen, löst sich das Phänomen der Langeweile, aber auch der Überforderungen schnell auf.

Wie können Mitarbeiter die Situation verbessern?

Wichtig ist, sich der Situation anzunehmen und sie ändern zu wollen. Das heisst, man muss zusammen mit dem Vorgesetzten die Situation ansprechen. Dies passiert leider noch zu wenig. Denn nicht selten lügen sich Mitarbeiter in die eigene Tasche. Sie nehmen die Situation nicht als Problem wahr, auch aus Angst als Unnütze zu gelten oder den Job zu verlieren – wie gesagt: Das Thema wird tabuisiert. Wiederum andere finden sich mit dem Status quo ab, sie arrangieren sich. Dies ist aber keine nachhaltige Lösung. Und die dritte Gruppe hat innerlich bereits gekündigt und schaut sich nach einem anderen Job um.

Lässt sich der wirtschaftliche Schaden von Bore-outs für die Schweiz abschätzen?

Wegen diverser Erhebungsprobleme gibt es keine Studien dazu. Aber natürlich verursachen Personen, die ineffizient eingesetzt werden, immer hohe Kosten. Unternehmen sollten daher aus Gründen der Profitabilität ein Interesse daran haben, das Phänomen der Langweile am Arbeitsplatz so klein wie möglich zu halten.

Dr. Markus Grutsch (41) ist Dozent an der Fachhochschule St.Gallen und leitet den Kompetenzbereich Qualitäts- und Projektmanagement am Institut für Qualitätsmanagement und Angewandte Betriebswirtschaft. Er ist Arbeits- und Organisationspsychologe und berät Unternehmen in Transformationsprozessen, coacht Entscheidungsträger, forscht und publiziert zu Betrieblichem Gesundheitsmanagement.

Mitarbeit am Interview: Marc Forster