"Ich glaube, ich habe einen erneuten Primeur gelandet!" So eröffnete der bislang weitgehend unbekannte britische Blogger Ben Harrington am gestrigen Mittwoch einen Eintrag zum angeblichen Einstieg der italienischen Industriefamilie Agnelli bei Swiss Re. Gemäss Informationen von Harrington soll Agnelli mit Swiss Re im Gespräch sein, 20 Prozent der Aktien des Schweizer Rückversicherers zu übernehmen. 

Diese Meldung traf die Schweizer Börse wie ein Blitz: Nach Handelseröffnung sprang die Swiss-Re-Aktie innert Minuten bis zu 6 Prozent in die Höhe - eine für diesen in der Regel wenig volatilen Titel äusserst ungewöhnliche Tagesbewegung, die den Börsenwert um eine Milliarde Franken erhöhte. 

Doch wie konnte es zu diesem Kaufrausch kommen? Wie cash aus Händlerkreisen erfuhr, haben insbesondere Broker in London ihre Kunden animiert, wegen dieser Meldung Swiss-Re-Aktien zu kaufen.  Laut einem Händler hat diese Reaktion mit der derzeitigen Nervosität im Markt zu tun: "Es zeigt, wie der Markt drauf ist. Auf jede News springen Akteure auf."

Swiss Re hatte die Wirkung unterschätzt

Vor allem im angelsächsischen Raum machte Harringtons Gerücht unter den Börsianern die Runde. Zusätzlich angefacht wurde das Feuer von Bloomberg. Der Finanzinformationsdienstleister nahm kurz vor Börseneröffnung in der Schweiz das Gerücht auf und flashte: "AGNELLI FAMILY SAID IN TALKS TO BUY 20% IN SWISS RE: BETAVILLE". Viele Händler und professionelle Trader rund um den Globus benutzen Bloomberg als Informationsquelle - und handeln entsprechend.

Zuvor hatte Swiss Re gegenüber Bloomberg die Möglichkeit ausgeschlagen, Stellung zu nehmen. Die Antwort des Schweizer Rückversicherers lautete: "Wir äussern uns generell nicht zu Marktgerüchten." Doch offensichtlich hat Swiss Re die Folgen des Berichts von Harrington unterschätzt - angesichts der Reaktion an der Börse. Wahrscheinlich veranlasste dies die Swiss Re, im Nachhinein ein Dementi zu publizieren, das zu einer Beruhigung des Aktienkurses beitrug.

Unter den cash-Lesern machte sich Unmut breit. "Das Streuen solcher Gerüchte hat sich für den Urheber gelohnt. Für kurzfristig denkende Anleger wahrscheinlich nicht. Das Verbreiten solcher Gerüchte sollte strafrechtlich verfolgt werden", sagte ein User. Ein anderer merkte an, dass der Urheber in den USA nun die Börsenaufsicht SEC am Hals Hätte. Bei der Finma hingegen seien Gerüchte nur Bagatellen.

Leicht- oder Schwergewicht?

Doch wer ist dieser Ben Harrington, der mit einer unbeglaubigten Meldung den Kursverlauf eines Weltkonzerns auf den Kopf stellen konnte? Laut seinem Twitter-Account ist er ein ehemaliger M&A- und Finanzmarktredaktor der britischen Zeitung Daily Telegraph. Seit elf Monaten arbeitet er als Freelancer und Betreiber des Finanzblogs Betaville. Der mutmassliche Familienvater – auf seinem Twitter-Profilbild trägt er ein Baby auf dem Arm – ist nach eigenen Angaben auf der Suche nach Arbeit.

In der Finanzszene scheint Harrington eher ein Leichtgewicht zu sein. Ihm folgen auf Twitter bloss 1200 Follower, und auf Google+ sind nur mit 17 Personen mit ihm verlinkt. Seinen Blog betreibt er gerade mal seit wenigen Wochen. Umso erstaunlicher ist es, dass ein solcher Nobody den Aktienkurs eines der grössten Rückversicherungskonzerne der Welt mittels eines Blog-Eintrag so stark beeinflussen konnte.

Insiderwissen in anderen Fällen

Wie cash in Erfahrung brachte, hatte Harrington im Vorfeld der Publikation versucht, Swiss Re zu kontaktieren. "Er hat uns am späten Dienstagabend telefonisch kontaktiert und eine Nachricht hinterlassen. Von der Nachricht erfuhren wir erst am Mittwochmorgen. Zu diesem Zeitpunkt war die Geschichte aber bereits publiziert", sagte Swiss-Re-Sprecher Michael Gawthorne auf Anfrage.

Der Blogger verfügt durchaus über Insiderwissen, wie frühere Berichte von ihm zeigen. So hat er in den letzten zwei Wochen zwei M&A-Transaktionen vorzeitig publik gemacht, die auch in kürzester Zeit von den betroffenen Firmen bestätigt wurden. Womöglich bewegte dies renommierte Nachrichtenagenturen wie Bloomberg, auch die Swiss-Re/Agnelli-Story aufzunehmen.

Dennoch: So wie sich die Geschichte am Mittwoch abspielte, wird man den Verdacht nicht los, dass mittels gezielten Streuens von kursrelevanten Informationen über Social-Media-Plattformen Aktienkurse in eine gewünschte Richtung gelenkt werden. Aufhorchen lässt ein Tweet eines Londoner Brokers an die Adresse von Harrington - mit den Worten: You've made it Ben. Your own Bloomberg flash -- *AGNELLI FAMILY SAID IN TALKS TO BUY 20% IN SWISS RE: BETAVILLE.


 

Die Fake-Geschichte von Harrington forderte aber nicht nur in die Irre geleitete Opfer, sondern auch Profiteure: Hedgefonds, Daytrader und Nostro-Händler. Denn als die Plausibilität der Meldung zusehends bröckelte, haben diese Marktteilnehmer begonnen, Swiss-Re-Aktien leerzuverkaufen. Dies sagte ein Händler gegenüber cash, der ebenfalls in diesem Geschäft mitmischt. "Dies ist ein klassisches Beispiel, wie professionelle Marktakteure eine Falschmeldung zu ihren Gunsten ausnutzen können."