Nach Deutschland dreht auch die Euro-Zone wirtschaftlich auf Rezessionskurs. Das geht aus revidierten Daten des EU-Statistikamts Eurostat hervor. Laut den am Donnerstag vorgelegten Zahlen schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euro-Währungsraum von Januar bis März um 0,1 Prozent. In einer früheren Schätzung war noch ein Plus von 0,1 Prozent gemeldet worden. Und Ende 2022 ging das BIP nach nun abwärts revidierten Zahlen um 0,1 Prozent zurück. Zuvor war von einer Stagnation die Rede. Bei zwei Quartalen mit schrumpfender Wirtschaft in Folge sprechen Volkswirte von einer technischen Rezession.

Eine solche Talfahrt hat auch Deutschland durchgemacht: Ende 2022 schrumpfte die hiesige Wirtschaft um 0,5 Prozent, Anfang des Jahres ging es dann um 0,3 Prozent bergab. Das lange Zeit als wachstumsschwach geltende Mittelmeerland Italien legte hingegen im ersten Quartal ein Plus beim BIP von 0,6 Prozent hin. Spanien schaffte einen Zuwachs von 0,5 Prozent. Und die französische Wirtschaft expandierte um 0,2 Prozent. In den Niederlanden ging es hingegen um 0,7 Prozent bergab, in Irland sogar um 4,6 Prozent.

«Widerstandsfähigkeit geht, Stagnation kommt»

Carsten Brzeski, Deutschland-Chefökonom bei der ING, brachte es nach der Revision der BIP-Zahlen im Euroraum auf den Punkt: "Und es ist doch eine Rezession... Starke Widerstandsfähigkeit geht und Stagnation kommt." Die Industriestaatenorganisation OECD erwartet für den Euroraum in diesem Jahr ein BIP-Wachstum von 0,9 Prozent und für 2024 dann von 1,5 Prozent. Die OECD räumt zugleich ein, dass eine erheblich straffere Geldpolitik das Risiko einer Rezession erhöhen könne.

Die Konjunkturtalfahrt im Euroraum dürfte bei der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Sorge gesehen werden, da sie kurz vor der achten Zinserhöhung in Folge steht. Sie will den Preisauftrieb mit der strafferen Geldpolitik zügeln, aber nach Möglichkeit die Wirtschaft nicht abwürgen. Noch im Sommer 2022, als die EZB mit ihrer Zinserhöhungsserie loslegte, war das BIP in der Euro-Zone noch um 0,4 Prozent gewachsen. Seither geht es bergab.

Tom Hopkins, Portfoliomanager bei BRI Wealth Management, sieht die EZB vor schwieriger Entscheidungsfindung: "Die Wachstumszahlen in Verbindung mit den Daten, die zeigen, dass die Inflation in mehreren Ländern der Euro-Zone hartnäckig bleibt, erschweren die Herausforderung für diejenigen, die in der Region über Zinsen entscheiden." Sie müssten darüber befinden, ob sie die Kreditkosten weiter erhöhten - und dies, bei absehbar weiter schwächelnder Wirtschaft. "Wir glauben, dass die Performance der Euro-Zone im zweiten und dritten Quartal gedämpft bleiben wird. Denn die schwächere Kreditvergabe der Banken bremst die Investitionen und das Verbrauchervertrauen bleibt fragil", so der Ökonom.

Weitere Zinserhöhung naht

EZB-Chefin Christine Lagarde hat jüngst auf dem Deutschen Sparkassentag in Hannover darauf verwiesen, dass die Zinserhöhungen bereits stark auf die Kreditvergabebedingungen der Banken durchwirkten, auch in Deutschland: "Wir wissen, dass – trotz unserer starken und raschen Zinserhöhungen – noch eine erhebliche Straffung der Geldpolitik ansteht", fügte die Französin hinzu.

Von Reuters befragte Volkswirte rechnen für die Sitzung des EZB-Rats am 15. Juni mit einer Anhebung der Leitzinsen um einen viertel Prozentpunkt. Der am Finanzmarkt dabei massgebliche Einlagensatz, den die Banken für das Parken überschüssiger Gelder erhalten, würde damit von aktuell 3,25 Prozent auf 3,50 Prozent steigen. Ob nach einem solchen Zinsschritt ein weiterer im Juli folgen könnte, ist derzeit noch offen. Bundesbankchef Joachim Nagel hält es überdies für möglich, dass die geldpolitischen Zügel über den Sommer hinaus noch weiter gestrafft werden könnten.

(Reuters)