Eine zweite Anhebung um 75 Basispunkte in Folge würde der aggressiven Linie der Federal Reserve entsprechen und unterstreichen, dass die härtere Gangart der Währungshüter in letzter Zeit angesichts der Rekordinflation in den 19 Euro-Ländern keine Eintagsfliege ist.

Den Bedarf für eine mögliche Wiederholung der beispiellosen geldpolitischen Straffung vom Donnerstag sehen Falken und Tauben im EZB-Rat gleichermassen, sagten die Personen, die mit den Diskussionen vertraut sind und nicht namentlich genannt werden wollten.

Chefökonom Philip Lane, der in seinen letzten öffentlichen Äusserungen noch auf ein "gleichmässiges Tempo" der Zinserhöhungen gedrängt hatte, schlug in seiner Präsentation vor dem EZB-Rat einen deutlich falkenhafteren Ton an, heisst es. Ein EZB-Sprecher lehnte eine Stellungnahme ab.

Das nun anstehende Auflösen des fast fünf Billionen Euro schweren Anleiheportfolios der EZB - auch als quantitative Straffung bekannt - wird voraussichtlich auf der Ratssitzung am 5. Oktober in Zypern erörtert werden, auf der keine geldpolitischen Entscheidungen anstehen. Das Thema wird aber wahrscheinlich auch die folgenden Sitzungen beschäftigen, heisst es.

Erhöhung auch im Dezember und im Februar?

"Wenn die Finanzstabilität gewahrt bleibt, gehen wir davon aus, dass der EZB-Rat im nächsten Monat eine weitere Zinserhöhung um 75 Basispunkte vornehmen wird. Im Dezember könnte dann eine Anhebung der Zinssätze um 50 Basispunkte folgen und im Februar eine Anhebung nur des Einlagensatzes um 25 Basispunkte", sagen David Powell, Jamie Rush und Maeva Cousin von Bloomberg Economics. 

In ihren geldpolitischen Entschlüssen vom Donnerstag versprach die EZB, dass sie "die Zinsen in den nächsten Sitzungen weiter erhöht". Präsidentin Christine Lagarde sagte in ihrer Pressekonferenz, dass dies "wahrscheinlich mehr als zwei, einschliesslich dieses einen, aber wahrscheinlich auch weniger als fünf" Zinsschritte bedeute. Diese Äusserung sei im Rat allerdings nicht erörtert worden, sagten die Personen.

Der Euro gab nach der Entscheidung gegenüber dem Dollar nach, während an den Geldmärkten die Wetten auf eine weitere Straffung der Geldpolitik anzogen. Die Positionen der Geldmarkthändler implizieren eine 40-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine Zinsanhebung von 75 Basispunkten im Oktober.

Rezessionsgefahr in der Eurozone

Der EZB war vorgeworfen worden, zu langsam auf die Inflation zu reagieren, die mit dem Ende der Covid-Lockdowns begann und sich nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine verschärfte.

Egal welcher Zinspfad eingeschlagen wird - die weiteren Entscheidungen der Währungshüter stehen vor dem Hintergrund wachsender Gefahr einer Rezession in der Eurozone. Die Fachleute der EZB erwarten in ihren neuesten Projektionen einen schnelleren Preisanstieg bei gleichzeitig schwächerer Konjunktur. Für das nächste Jahr wird nur noch 0,9 Prozent Wachstum erwartet.

Da die Inflation die Nachfrage schwächt, rechnen Ökonomen mit einem Abschwung, der zwei oder mehr Quartale anhalten und noch in diesem Jahr beginnen könnte. In Anbetracht des sich verschlechternden Umfelds zeigte sich der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Peter Praet erstaunt über die Ankündigung der EZB, die Zinssätze weiter anzuheben, "um die Nachfrage zu dämpfen".

"Ich war etwas überrascht", sagte er gegenüber Bloomberg TV. "Das hiesse, dass es einen Nachfrageüberschuss gibt, dabei liegt das BIP-Niveau nur leicht über dem von 2019."

Für Lagarde und ihre Ratskollegen, von denen einige die Zinserhöhungen auch in einer Rezession weitertreiben wollen, ist die Inflation der wichtigste Punkt. "Es müssen entschlossene Massnahmen ergriffen werden", sagte sie. "Die Inflation bleibt viel zu hoch."

(Bloomberg)