Zwei Angeklagte müssen mehrjährige Haftstrafen antreten, zwei Ex-Mitarbeiter erhielten Bewährung.
Mit viereinhalb Jahren Gefängnis für einen ehemaligen Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung gingen die Richter sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Der 59-Jährige stand nach Überzeugung der Kammer «im Zentrum des Geschehens» und erhielt nach fast vier Jahren Prozess mit 175 Verhandlungstagen die härteste Strafe.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig und die juristische Aufarbeitung ist auch nach diesem Schuldspruch nicht beendet.
Angeklagte verfolgen Urteil mit gesenktem Kopf
Ins Gefängnis soll auch ein früherer Leiter der Antriebselektronik. Der 65-Jährige wurde zu zwei Jahren und sieben Monate verurteilt. Vor allem die beiden von der Haft betroffenen verfolgten die mehr als dreistündige Urteilsbegründung im nahezu vollem Gerichtssaal mit gesenktem Kopf gestützt in gefaltete Hände.
Der ranghöchste Angeklagte, ein Ex-Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen, erhielt ein Jahr und drei Monate auf Bewährung. Ein ehemaliger Abteilungsleiter wurde zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Er war auch der erste VW -Mitarbeiter, der den Betrug gegenüber US-Behörden zugab.
Bauernopfer in der Dieselaffäre?
Für alle Angeklagten sah die Kammer einen bandenmässigen Betrug ab dem Zeitpunkt ihrer Kenntnis der Schummelsoftware als erwiesen an. Den verursachten Schaden bezifferte die Kammer auf etwa 2,1 Milliarden Euro, für den aber nicht alle gleichermassen verantwortlich seien.
Während des Prozesses hatten die vier Angeklagten deutlich gemacht, dass sie sich als Bauernopfer in der Dieselaffäre sehen. Die Verteidiger hatten drei Freisprüche und eine Verwarnung gefordert. Entsprechend fiel ihre Reaktion am Montag aus: «Das Urteil ist falsch», sagte Rechtsanwalt Philipp Gehrmann nach der Verkündung. Besonders für seinen Angeklagten sei die Kammer mit dem Strafmass von mehr als zwei Jahren Haft weit über das Ziel hinausgeschossen und kündigte Revision an.
Manipulation flogen 2015 in den USA auf
Der Skandal um Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos war im September 2015 aufgeflogen. In den USA hatte der Wolfsburger Autobauer kurz zuvor falsche Testergebnisse eingeräumt. Wenige Tage später trat Konzernchef Winterkorn zurück. VW schlitterte in eine seiner grössten Krisen, die den Konzern nach eigenen Angaben bisher etwa 33 Milliarden Euro kostete.
Der Vorsitzende, Christian Schütz, machte deutlich, dass die vier verurteilten früheren Führungskräfte nach Überzeugung der Kammer nicht allein die Verantwortung tragen. Die betroffenen Motoren seien von einer Vielzahl von Personen entwickelt worden, Pläne zur Abschaffung der Technik habe es nicht gegeben, sagte Schütz. Die Manipulationen müssten arbeitsteilig und in einem sehr hierarchischen System betrachten werden. Es gebe weitere Involvierte mit Schlüsselrollen, die teils gar nicht angeklagt seien.
Richter: Zeugen mit unzutreffenden oder ungenauen Angaben
Direkt zu Beginn stellte Richter Schütz klar, dass er mit einigen Zeugenaussagen während des Prozesses überhaupt nicht einverstanden war. Zeugen hätten vorsätzlich unzutreffende oder ungenaue Angaben gemacht, da sie teilweise selbst Beteiligte seien. Mit Blick auf einen Zeugen sagte Schütz sogar, dass er die «Kammer schamlos angelogen» habe.
Der Richter ging auch darauf ein, dass es in dem Ermittlungskomplex schon Einstellungen gegen Geldauflagen gab. Dadurch stand der Vorwurf von Gefälligkeitsaussagen im Raum, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Schütz betonte, dass seine sechste Strafkammer nur für die vier Angeklagten zuständig sei. Er machte aber auch deutlich, dass seine Kammer einige der anderen Verfahren wohl nicht eingestellt hätte.
Weitere Verfahren im Dieselskandal
In Braunschweig sind nach dem ersten Prozess und dem Komplex gegen Winterkorn noch vier weitere Strafverfahren gegen insgesamt 31 Angeklagte offen. Wie ein Sprecher des Landgerichts nach dem Urteil ankündigte, soll das Verfahren gegen fünf Angeklagte im November beginnen.
Ursprünglich geplant war, dass der frühere Volkswagen-Konzernchef Martin Winterkorn mit auf der Anklagebank sitzt. Sein Verfahrensteil wurde aber schon vor dem Auftakt im September 2021 aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt. Mittlerweile äusserte sich Winterkorn sowohl als Zeuge als auch als Angeklagter vor Gericht und wies dabei die Verantwortung für den Dieselskandal entschieden von sich.
Ein Unfall mit einem Klinikaufenthalt unterbrach den Prozess gegen den prominentesten Angeklagten aber. Ob und wann das Verfahren gegen den mittlerweile 78-Jährigen fortgesetzt werden kann, ist völlig offen.
(AWP)
2 Kommentare
Und die CH-VW-Kunden erhielten nie eine Entschädigung.
Die CH-Bundesanwaltschaft war natürlich nicht fähig, genügend belastende Beweise für eine Anklage resp. Verurteilung zu beschaffen. Sie hat das Verfahren eingestellt.
Ich, als langjähriger VW-Kunde, mache seither einen grossen Bogen um Amag- und VW- Garagen.
Ich habe den Eindruck, dass die CH-Bundesanwaltschaft sich im Dieselskandal gar nie bemühen wollte -- in Deutschland, Italien, Österreich, Niederlanden, Belgien und natürlich USA, aber auch in Kanada wurde der VW-Konzern gerichtlich verpflichtet eine Entschädigung an ihre Kunden zu bezahlen.