Eine flapsige Antwort steht am Anfang des Unglücks: «Klar, würde ich gerne eine Million Franken verdienen.» Damit zappelte Ruth Van de Gaer Sturzenegger (54) im Netz der Online-Betrüger. Und ein dreimonatiger «Horrortrip» nahm seinen Lauf. Am Ende, als sie ganz unten war, wollte die Ernährungs- und Fitnessberaterin «aus dem Leben gehen». So sehr schämte sie sich, sah sich als Schande für die Familie.

Statt einer Million Franken Gewinn resultierte am Ende des Albtraums ein Verlust von fast einer Million!

Doch dank ihres Sohnes, um den sie sich kümmern muss, schiebt sie die dunklen Gedanken nach ein paar Wochen auf die Seite – und stellt sich der Herausforderung, sich wieder ins Leben zurückzukämpfen.

Harmloser Beginn

Alles begann mit einer vermeintlich harmlosen Nachricht einer Bekannten auf Facebook, die die St. Gallerin Van de Gaer Sturzenegger erst mehrfach ignorierte: «Es ist so toll, ich habe 250 Euro investiert und nach kurzer Zeit bereits 2750 Euro auf mein Konto überwiesen bekommen. Ich kann es nur empfehlen!» Ein kleines Investment mit einem überschaubaren Risiko. «Mir wird heute noch beinahe übel, wenn ich an diese Zeit zurückdenke», erzählt Van de Gaer Sturzenegger im Gespräch mit Blick.

Kaum hatte die Geschäftsfrau am 16. März 2022 auf die Nachricht reagiert, meldete sich eine freundliche Dame am Telefon und entlockte der Ahnungslosen die verfängliche «Millionen-Antwort». Von da an hatte Van de Gaer Sturzenegger teilweise mehrmals täglich ihren «Berater» Daniel Mayo am Draht. Ein Name so falsch wie die Anlageplattform, auf der sich zu Beginn die vermeintlichen Gewinne äufneten.

Das komische Bauchgefühl

Jetzt war sie bis Mitte Juni in den Händen eines gewieften Manipulators gefangen. «Er war immer sehr einfühlsam. Auf jede meiner Fragen hatte er die passende Antwort parat, meine Skepsis wischte er immer erfolgreich beiseite», sagt die Unternehmerin. Etwa als sie eines Nachts mit einem komischen Bauchgefühl aufwachte und ihr Geld abziehen wollte. «Ich habe ihm Betrug vorgeworfen, doch er hat es geschafft, sich mein Vertrauen wieder zu erschleichen. Er faselte von fantastischen Anlagemöglichkeiten in Rohstoffe wegen des Kriegs in der Ukraine.»

Dazu schickte der Betrüger echte Marktanalysen, um dem Opfer noch mehr Geld für die gefakte Plattform zu entlocken. Anstatt auszusteigen, schoss Van de Gaer Sturzenegger immer mehr Geld ein, brauchte ihre gesamten Ersparnisse auf. «Es ging nie um Gier, sondern um Sicherheit», begründet sie ihr Vorgehen. «Als selbstständige Unternehmerin hatte ich einfach Angst, dass ich für die Zukunft zu wenig Geld auf der Seite haben könnte.»

Der Betrüger warnte davor, sich anderen Menschen anzuvertrauen. «Das könne Neider auf den Plan rufen», erinnert sich Van de Gaer Sturzenegger. «Auch innerhalb der Familie habe ich niemandem etwas davon erzählt. Ich wollte die anderen mit meinem Erfolg überraschen.»

Die einzige Person, der sich ein Betrugsopfer anvertrauen muss, ist der eigene Banker. «Auch darauf hat mich mein Berater vorbereitet. Schliesslich sei es mein Geld und ich könne damit machen, was ich wolle.»

Immer jüngere Opfer

Ruth Van de Gaer Sturzenegger ist kein Einzelfall. Bekannt sind die Maschen «Enkeltrickbetrug» und «Schockanruf», die sich meist an ältere Menschen richten, die längst aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Doch immer mehr geraten auch Leute um Mitte 50 ins Visier der Betrüger. In diesem Fall spielen die Verbrecher ganz gezielt mit der Angst vieler Menschen, dass das Geld für den Lebensabend nicht reichen könnte. Eine Angst, die auch Van de Gaer Sturzenegger in den Abgrund getrieben hat.

Plötzlich lockte der ganz grosse Reibach: Ein Gewinn von 2,5 Millionen Franken leuchtete auf der Plattform auf. «Jetzt wollte ich die Auszahlung auslösen, bevor die Kurse wieder einbrachen.» Und dann war das Geld verschwunden! Es gebe Probleme mit der Blockchain, hiess es erst. Dann war plötzlich von Steuerzahlungen die Rede, um den Gewinn zu realisieren.

Kampf zurück ins Leben

Jetzt begann die Abzocke erst richtig: Die Betrüger forderten immer mehr Geld, um die angeblichen Probleme aus der Welt zu schaffen. Da ihre Konten bereits leer waren, borgte sie sich Geld bei der Mutter, der Schwester und einer Freundin aus. Doch auch nach 200'000 Franken war vom Gewinn nichts zu sehen, im Gegenteil: «Sie wollten nochmals 200'000 Franken, erst dann könne der Gewinn realisiert werden. Erst da wurde mir klar: Ich bin Betrügern aufgesessen.»

Doch Aufgeben ist keine Option: «Ich musste mich wieder ins Leben zurückkämpfen. Also beschloss ich, mich zu wehren und das Trauma zu verarbeiten.»

Heute ist Van de Gaer Sturzenegger wieder schuldenfrei, auch dank einer Wohnung in Portugal, die sie verkaufen konnte. «Ich hatte nie die Hoffnung, dass ich mein Geld wieder zurückbekomme. Aber ich wollte andere Leute warnen. Denn niemand ist vor den raffinierten Methoden der Betrüger gefeit.»

Kleiner Erfolg

Zusammen mit einer Freundin verarbeitete sie ihr Schicksal in einem Buch, erzählte ihre Geschichte im Fernsehen, tritt bei Talks und Lesungen auf. Und hat eine Selbsthilfeplattform gegründet. «Für mich war klar, ich musste etwas tun, um anderen Geschädigten zu helfen. Und ich wollte mich nicht von diesen Verbrechern brechen lassen», sagt Van de Gaer Sturzenegger. Das bringt das Geld nicht wieder zurück, aber Van de Gaer Sturzenegger handelt aus der Überzeugung, dass die Betroffenen nicht allein gelassen werden dürfen.

Der Kampf gegen die Betrüger ist meist ein Kampf gegen Windmühlen. Allerdings gibt es auch klitzekleine Erfolge: «Dank der Aufklärungsarbeit ist es gelungen, jemanden davor zu bewahren, die 250 Euro zu investieren», sagt Van de Gaer Sturzenegger stolz. Denn sie weiss ganz genau, welche Abwärtsspirale dieses kleine Investment auslösen kann.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Blick unter dem Titel: "Wie aus 250 Franken ein Millionen-Verlust wurde"