"In den nächsten zehn bis 15 Jahren erwarten wir eine durchschnittliche Teuerungsrate von drei bis vier Prozent." So wurde Jörg Krämer, damals wie heute Chefökonom der Commerzbank, im Mai 2010 in einem Artikel im Handelsblatt zitiert. Thema waren die Milliarden-Geldspritzen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise von 2008.

Zehn Jahre später wissen wir: Diese Angst war unbegründet. Hochschiessende Inflationsraten traten nie ein. Krämer, muss man anfügen, stand damals mit seiner Meinung bei weitem nicht allein. Unter den Ökonomen herrschte relativer Konsens: Die Geldflut der Notenbanken wird unausweichlich in eine steigende Inflation und Geldentwertung münden.

In diesen Wochen und Monaten taucht, angetrieben durch die Corona-Krise und der neuen Geldschwemme der Notenbanken, das Inflationsgespenst bei einigen Ökonomen wieder auf. Doch warum sollte es diesmal anders sein als 2008? Um die Argumentation der Inflations-Warner zu verstehen, lohnt sich noch mal ein Blick auf die Zeit nach der Finanzkrise 2008: Warum trat die Inflation damals wider Erwarten nicht ein?  

Warum nach 2008 die Inflation ausblieb

Der Grossteil der Ökonomen-Gilde hatte damals vor allem massiv unterschätzt, wie wenig die Liquidität, die den Banken durch die Geldschwemmen der Notenbanken zufloss, in die Realwirtschaft weitergeleitet wurde. Die Nachfrage nach Krediten war geringer als gedacht, und neue regulatorische Hürden (Basel II+III) hinderten Banken daran, Kredite überhaupt zu vergeben. Das verhinderte die Geldschöpfung und wirkte stark disinflationär.

Kommt hinzu: Die expansive Geldpolitik der Notenbanken ging nicht mit einer expansiven Fiskalpolitik der Regierungen einher. Hier wurde vor allem in der Euro-Krise Austerität gross geschrieben. Einen disinflationären Einfluss hatte ebenso der damalige Aufschwung in Asien, insbesondere China, und anderen Emerging Markets. Dass Produktionsketten in diese Länder verlegt wurden, schwächte die Verhandlungsposition von hiesigen Arbeitern und übte somit Druck auf die Löhne aus.

Dazu wurde damals schlicht unterschätzt, dass die Rezession enorme Überkapazitäten am Arbeitsmarkt schuf. Die Folge war eine klassische Produktionslücke. Das heisst: Die Differenz zwischen der tatsächlichen Produktion der Volkswirtschaften und dem Produktionspotenzial (aufgrund der verfügbaren Arbeitskraft) klaffte weit auseinander. Auch das schwächt das Lohn- und Preisniveau.

Was ist diesmal anders?

Und heute? Es warnen viele Ökonomen erneut vor einem Hochschiessen der Inflation. Ganz nach dem Motto: Dieses Mal ist alles anders. Viele weisen in diesem Zusammenhang auch auf den steigenden Preis von Gold hin, dem "populärsten" Anti-Inflationsschutz von Anlegern.

Schaut man sich das aktuelle Umfeld an, offenbaren sich tatsächlich Unterschiede zu 2008. So leuchtet ein, dass wir heute tatsächlich ein gewisses Geldmengenwachstum erleben werden, dass dieses Mal auch in den Umlauf gelangt. Anders als 2008 stehen nämlich nicht nur die Notenbanken mit Liqudität-Zuschüssen bei Fuss. Auch die Regierungen nehmen massiv Geld in die Hand, um die Folgen der Krise abzuschwächen.

Das heisst: Geld- und Fiskalpolitik gehen diesmal Hand in Hand. Das könnte zur Folge haben, dass in dieser Krise viel mehr Liquidität in die Realwirtschaft gelangt und somit die Geldschöpfung angetrieben wird. Zudem werden die Geschäftsbanken heute von den Regierungen dazu angehalten, Kredite an die Privatwirtschaft zu vergeben – in Form von staatlichen Kreditgarantien. Hier wenden andere Ökonomen allerdings ein, dass diese Not-Kredite in der Regel die Betriebe nur über Wasser halten sollen - und nicht für Investitionen verwendet werden dürfen, was die "Chance" auf Inflation erhöhen würde.

Was diese Krise von der Zeit nach 2008 ebenfalls unterscheidet, ist die Tendenz zur Deglobalisierung. Wurden damals Produktions- und Lieferketten ins ferne Ausland verschoben, zeigt Corona die Risiken einer solchen Strategie schonungslos auf. Sollte diese Wertschöpfung zu grossen Teilen wieder zurückgeholt werden, könnte sich das zumindest kurz- und mittelfristig auf die Kosten und Lohnstrukturen und damit auch auf die Preise auswirken.

Kommt die Inflation? 

Fakt ist, dass sich die Geldmenge in vielen Währungsräumen tatsächlich massiv ausweitet. So schoss etwa in den USA im Mai - also inmitten der Corona-Krise – die Geldmenge um satte 23 Prozent nach oben gegenüber Vorjahr. Allerdings steigt diese Geldmenge seit der Krise 2008 in den USA jedes Jahr durchschnittlich um 12 Prozent an – ohne dass dies eine grössere Inflation zur Folge hätte. Heisst: Geldausweitung und Inflation müssen nicht zu 100 Prozent korrelieren.

Die Märkte scheinen jedenfalls derzeit keine übermässige Inflation einzupreisen. Dafür spricht, dass sich die Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen weiterhin auf extrem niedrigem Niveau befinden. Der Markt geht also davon aus, dass es "Inflation" weiterhin nur bei Sachwerten geben wird. Nämlich bei Aktien und Immobilien.