Die Richemont-Titel sind seit Jahresbeginn um beinahe einen Viertel ihres Werts gesunken. Damit schneiden sie noch schlechter ab als der Gesamtmarkt gemessen am Leitindex SMI mit einem Minus von rund 16 Prozent. Letztes Jahr gehörten die Papiere mit einem Plus von rund 71 Prozent allerdings zu den stärksten Blue Chips.
Die Compagnie Financière Richemont, wie der Konzern vollständig heisst, wird am (morgigen) Freitag, 11. November, die Ergebnisse des ersten Halbjahres 2022/23 veröffentlichen, das beim Genfer Luxusgüterkonzern jeweils Ende September abgeschlossen wird. Insgesamt sechs von der Nachrichtenagentur befragte Analysten erwarten im Schnitt 9,429 Milliarden Euro Umsatz un 1,853 Milliarden Euro Reingewinn. Im Vorjahr meldete Richemont 8,907 Milliarden Euro Umsatz und 1,249 Milliarden Euro Gewinn an.
Richemont wird zum ersten Halbjahr 2022/23 allerdings Geschäftszahlen vorlegen, die kaum mit dem Vorjahr zu vergleichen und für Analysten nur schwer vorauszusagen sind. Der Grund ist die Auslagerung der Online-Tochter Yoox-Net-A-Porter (YNAP) an den britischen Onlinehändler Farfetch. YNAP wird in der Richemont-Rechnung neu als "assets held for sale" erfasst.
Umsätze aus Onlinegeschäft sind weggefallen
Mit der Umklassifizierung fallen nicht nur Umsätze aus dem Onlinegeschäft weg. Der Konzern muss auch die in der Bilanz für YNAP erfassten Goodwill-Positionen abschreiben. Das löst auf Reingewinnstufe eine Belastung in Milliardenhöhe (geschätzt: 2,8 Mrd EUR) aus und dürfte zu einem hohen Halbjahresverlust führen.
Ende August hatte Richemont die Weichen für die Zukunft des defizitären Onlinegeschäfts gestellt. Im Rahmen einer komplexen Finanztransaktion tritt Richemont eine Kontrollmehrheit an YNAP in Höhe von 50,7 Prozent an Farfetch (47,5 Prozent) und den arabischen Investor Mohamed Alabbar (3,2 Prozent) ab.
Die restlichen YNAP-Anteile bleiben vorerst im Besitz von Richemont, wobei Farfetch eine Kaufoption dafür hat. Richemont wiederum erhält 53,0 und 58,5 Millionen Farfetch-Aktien der Klasse A. Das hat zur Folge, dass Richemont um die 10 bis 13 Prozent an den Briten beteiligt sein wird.
Das Ziel des Zusammenschlusses von YNAP und Farfetch ist es, eine für die Luxusgüterbranche breit aufgestellte, unabhängige und weltweit tätige Onlineplattform zu formen. "Für Farfetch ist der Deal sehr lukrativ und für unsere Marken eine gute Chance, im Onlinegeschäft einen Schritt weiterzukommen", sagte Richemont-Präsident Rupert dazu.
Forderung eines Aktionärs erfüllt
Die Richemont-Marken können laut Rupert im Onlineverkauf schon bald auf die gute Technologie von Farfetch zugreifen. "Das werden die meisten Richemont-Häuser tun", ergänzte der Farfetch-Gründer und -Chef José Neves anlässlich der Präsentation des Deals.
Mit diesem Schritt ist Richemont einer von mehreren Forderungen des aktivistischen Investors Bluebell Capital nachgekommen. Bluebell hatte Mitte Juli auch einen Angriff auf die Zusammensetzung und Struktur des Verwaltungsrats von Richemont gewagt, ist dann aber Anfang September an der Generalversammlung mit den Plänen gescheitert.
Unter anderem verlor der frühere Bulgari-Chef und Bluebell-Kandidat Francesco Trapani den Kampf um den den A-Aktionären zugesprochenen Verwaltungsratssitz gegen die Richemont-Kandidatin Wendy Luhabe. Bei Richemont hat die Rupert-Familie mit den stimmgewichtigen und nicht Börse-kotierten B-Aktien das Sagen. Die A-Vertretung wird aber von den A-Aktionären bestimmt.
Operatives Geschäft gut erwartet
Geschäftsziele gibt der Richemont-Konzern indessen traditionell keine aus. Verwaltungsratspräsident und bestimmender Aktionär Johann Rupert äusserte sich bei Publikation des Farfetch-Deals bezüglich den Konjunkturaussichten und den Folgen für die Luxusgüterindustrie zurückhaltend. Die Erholung des wichtigen chinesischen Markts von den strengen Corona-Massnahmen dürfte nur schleppend vorankommen, bekräftigte Rupert bereits im Mai gemachte Aussagen. "Und in Europa werden die durch den Ukraine-Krieg ausgelösten negativen Effekte meiner Meinung nach unterschätzt." Insgesamt sei der Appetit nach Luxusprodukten rund um den Globus aber nach wie vor gross, betonte er.
Im Uhren- und Schmuckgeschäft rechnen Analysten derweil mit deutlichem Wachstum, was sich auch in dem fürs weitergeführte Geschäft berechneten AWP-Konsens äussert. Und auch im angepassten operativen Ergebnis ist mit einem Anstieg zu rechnen.
Derweil dürfte das operative Geschäft von Richemont gut laufen. Im ersten Quartal rückte der Umsatz der Gruppe um einen Fünftel auf 5,26 Milliarden Euro vor. In Lokalwährungen gerechnet betrug das Plus 12 Prozent. Im ersten Quartal 2019/20 - also noch bevor die Coronapandemie belastet hatte - schrieb das Unternehmen einen Gruppenumsatz von 3,74 Milliarden.
Zudem deuten die Schweizer Uhrenexportdaten auf weiteres Wachstum hin. Im September wurden insgesamt Uhren im Wert von 2,2 Milliarden Franken von der Schweiz ins Ausland exportiert. Das Exportwachstum lag damit bei 19 Prozent. In den ersten neun Monaten des Jahres stiegen die Uhrenexporte um 13 Prozent auf 18,1 Milliarden. Die Oktober-Statistik folgt am 17. November.
(AWP/cash)