Während im Cum-Ex-Skandal gegen Berger und mehr als 1300 Beschuldigte ermittelt wird, bahnt sich offenkundig ein noch grösserer Betrugsskandal an. Nach Angaben von NRW-Justizminister Peter Biesenbach ist der Cum-Ex-Betrug trotz seines geschätzten zweistelligen Milliardenvolumens wohl nur die "Spitze des Eisbergs". Dafür gebe es "starke Verdachtsmomente", sagte der CDU-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Die Cum-Ex-Ermittler in Köln seien auf weitere Methoden mutmasslichen Steuerbetrugs gestossen, bestätigte eine Ministeriumssprecherin der Deutschen Presse-Agentur. "Um die Ermittlungen nicht zu gefährden, können wir diese Modelle derzeit nicht umreissen."
NRW-Minister Biesenbach sagte der Zeitung, er gehe davon aus, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren in diesem Jahr deutlich steigen werde.
Schnelle Überstellung erwartet
Im Fall Hanno Berger hatten sowohl die hessische als auch die nordrhein-westfälische Justiz die Auslieferung des deutschen Anwalts beantragt. Beiden Begehren sei nun stattgegeben worden, sagte die Sprecherin. Man rechne mit einer schnellen Überstellung des Beschuldigten. Damit rückt ein Prozess für Berger in Deutschland näher.
Berger hätte schon im vergangenen Frühjahr bei einem laufenden Cum-Ex-Prozess am Landgericht Wiesbaden erscheinen sollen, blieb aber fern. Daher wurde das Verfahren gegen ihn abgetrennt.
Das Bundesamt für Justiz in Bern teilte auf Anfrage mit, es habe die Auslieferung bereits am 20. August 2021 bewilligt. "Nachdem das Bundesgericht nun in letzter Instanz nicht auf die Beschwerde des Betroffenen eingetreten ist, ist die Verfügung vom 20. August 2021 rechtskräftig geworden und kann vollzogen werden."
Bundesgericht nicht eingetreten
Das Bundesgericht trat am 16. Februar auf die Beschwerde Bergers gegen seine Auslieferung nicht ein, weil es sich nicht um einen besonders bedeutenden Fall handelt. Ein solcher liegt unter anderem vor, wenn elementare Verfahrensgrundsätze verletzt wurden oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist.
Entgegen der Ansicht Bergers geht das Bundesgericht davon aus, dass die von den Deutschen vorgeworfenen Taten nach einer ersten Prüfung als Betrug eingestuft werden können. Damit handle es sich um ein Delikt, das sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz strafbar sei. Dies ist eine Voraussetzung für eine Auslieferung. Berger argumentierte, dass es sich um ein nicht auslieferungsfähiges Fiskaldelikt handle.
Aus Sicherheitsgründen erteile das Bundesamt aber vor dem Vollzug einer Auslieferung keine weiteren Auskünfte. Berger war im Juli 2021 in Graubünden festgenommen worden und sitzt in Auslieferungshaft.
Einer der Architekten des Modells
Berger, ein früherer Finanzbeamter, gilt als einer der Architekten des Modells, bei dem sich Banken und Investoren nie gezahlte Steuern erstatten liessen. Er lebte zuletzt in der Schweiz und hatte die Vorwürfe zurückgewiesen.
Er und sein Anwalt argumentieren unter anderem, dass die ihm vorgeworfenen Delikte in der Schweiz nicht strafbar gewesen seien. Dem hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona widersprochen: "Es kann offensichtlich nicht richtig sein, dass eine einbehaltene Steuer zweimal ausgezahlt wird", argumentierte das Gericht. Das Vorgehen sei als arglistig zu bezeichnen.
Bei Cum-Ex-Geschäften schoben Banken und andere Finanzakteure Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch rund um den Dividendenstichtag hin und her. Das Ziel des Verwirrspiels war die Erstattung von Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Der deutsche Staat büsste dadurch Schätzungen zufolge einen zweistelligen Milliardenbetrag ein. Die Hochphase von Cum-Ex war zwischen 2006 und 2012. Mehrere Gerichte und Staatsanwaltschaften arbeiten den Skandal seit Jahren auf.
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(AWP)