Für UBS-Ökonom Alessandro Bee ist der Arbeitskräftemangel sogar "die wirtschaftliche Herausforderung des Jahrzehnts" für die Schweiz. Es gebe aktuell wegen des demografischen Wandels mehr Austritte aus dem Erwerbsleben als Neueintritte. "Bis Ende 2030 könnte sich eine Lücke von bis zu 270'000 Personen auftun", sagte er am Dienstag vor den Medien.

Diese Lücke würde etwas kleiner, sollte das Rentenalter erhöht werden. "Die aktuelle Rentenreform ist aber kein Gamechanger", so Bee. Auch die Zuwanderung allein könne das Problem nicht lösen, zumal es dagegen politischen Widerstand gebe. Er empfiehlt, ältere Arbeitnehmende und Mütter stärker ins Arbeitsleben zu integrieren.

Es drohen Verlagerungen ins Ausland

Sollte dies nicht geschehen, werde der Arbeitskräftemangel Folgen auf das Wirtschaftswachstum haben, ist Bee überzeugt. "Firmen würden dann neue Projekte nicht realisieren oder Unternehmensteile ins Ausland verlagern."

Über den Daumen gepeilt würde sich laut Bee das potenzielle BIP-Wachstum der Schweiz auf rund 1 Prozent verringern. Heute sehen Ökonomen dieses Potenzialwachstum bei gut 1,5 Prozent.

Optimistischer für 2023

Kurzfristig sind die Ökonomen der UBS für den Konjunkturverlauf aber etwas optimistischer geworden. Sie erwarten für 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 0,7 Prozent, nachdem sie bislang +0,4 Prozent vorhergesagt hatten.

"Die Energiekrise hat an Schrecken verloren", begründete Bee die Revision. Wegen der milden Temperaturen zu Beginn des Jahres gebe es in der Eurozone wohl keine schwere Rezession. Zudem sei die Entwicklung in China nun eher "ein Aufwärts- statt ein Abwärtsrisiko".

Allerdings lasteten die hohen Energiepreise noch immer auf den europäischen Einkommen und die daraus resultierende Konjunkturabkühlung auf den Schweizer Exporten. Eine rasche Wende zum Besseren ist laut den UBS-Ökonomen auch nicht in Sicht. So wird für 2024 ein Wachstum von nur 1,0 Prozent erwartet.

Verschnaufpause am Immobilienmarkt

Eine positive Entwicklung erwarten die Experten bei der Inflation. Diese werde im Jahresverlauf unter die 2-Prozent-Marke fallen. Für das Gesamtjahr 2023 wird eine durchschnittliche Jahresteuerung von 2,1 Prozent vorhergesagt, für das Folgejahr 2024 von 1,3 Prozent.

In der Folge zeichnet sich laut den UBS-Auguren ein Ende der Leitzinserhöhungen ab. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) werde im März wohl den Leitzins auf 1,5 von aktuell 1,0 Prozent erhöhen, danach sei aber Schluss mit weiteren Zinsschritten, so die Prognose.

Am Immobilienmarkt dürften die gestiegenen Zinsen im laufenden Jahr laut den Angaben gleichwohl ihre Spuren hinterlassen. Konkret wird bei den Einfamilienhäusern nur noch ein Preisanstieg von 1,5 Prozent und bei den Wohnungen von 1,0 Prozent erwartet. Somit käme es laut der UBS zum ersten inflationsbereinigten Preisrückgang seit über zwei Jahrzehnten.

Das Zins- und Inflationsumfeld spricht gemäss den Experten im Übrigen für eine weitere Aufwertung des Frankens: Konkret wird der EUR/CHF-Kurs Ende 2023 bei 0,95 gesehen, der USD/CHF-Kurs bei 0,86.

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(AWP)