Die Fed geht damit deutlich aggressiver gegen die Inflation als die Europäische Zentralbank (EZB) vor, die im Juli zum ersten Mal seit elf Jahren die Zinsen erhöhte. Die Anhebung im Währungsraum der 19 Mitglieder fiel mit einem halben Prozentpunkt zwar überraschend stark aus. Kritiker werfen der EZB aber vor, die Zinswende zu spät eingeleitet zu haben. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an.

Zugleich haben sich in Europa die Wirtschaftsaussichten infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine deutlich eingetrübt. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hoch verschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden. Europas Währungshüter stehen ebenso wie die US-Notenbank damit vor einem Balanceakt.

Mit Spannung wird nun die Schätzung des Bruttoinlandsprodukts in den USA für das zweite Quartal am Donnerstag erwartet. Die Wirtschaft war im Winter überraschend geschrumpft. Vieles deutet darauf hin, dass es nun wieder zu einer rückläufigen Wirtschaftsleistung gekommen ist. Schrumpft die Wirtschaft zwei Vierteljahre in Folge zum Vorquartal, sprechen Ökonomen von einer "technischen Rezession". Powell mahnte, die neuen Zahlen zum Wirtschaftswachstum mit Vorsicht zu geniessen. Eine Rezession ist seiner Auffassung nicht unausweichlich.

Auch im Weissen Haus ist man bemüht, die anstehende Schätzung nicht zu hoch zu hängen. Es gebe viele Faktoren, die zu berücksichtigen seien, betonte die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Karine Jean-Pierre. Sie verwies etwa auf den starken Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote liegt in den USA auf ähnlich niedrigem Niveau wie vor Ausbruch der Pandemie im Februar 2020. Biden brüstet sich gern mit diesen Werten - gleichzeitig leiden seine Zustimmungswerte unter den steigenden Verbraucherpreisen.

"Es ist nicht der Präsident, der die Inflation verursacht hat. Es gibt auch externe Faktoren, die uns dorthin geführt haben, wo wir heute sind", betonte Jean-Pierre etwa mit Blick auf die Energiepreise und Probleme bei Lieferketten wegen der Corona-Lockdowns in China. Die Teuerungsrate in den USA ist mit 9,1 Prozent so hoch wie seit rund vier Jahrzehnten nicht mehr. Damit liegt sie weit entfernt von jenen 2 Prozent, die sich die Fed zum Ziel gesetzt hat. Daher setzen die Zentralbanker auf eine straffe Geldpolitik - und könnten damit den Aufschwung abwürgen.

Der jetzige Zinsschritt ist die vierte Erhöhung in diesem Jahr. Erst im Juni hatte die Fed den Leitzins um 0,75 Punkte angehoben. Es war der grösste Zinsschritt seit 1994. Erhöhungen des Leitzinses verteuern Kredite und bremsen die Nachfrage. Das hilft dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum.

"Wenn wir es jetzt nicht in den Griff bekommen, erhöht das nur die Kosten, später damit fertig zu werden", mahnte Powell mit Blick auf die Inflation. "Wir wollen keine Rezession, und wir glauben auch nicht, dass wir eine haben müssen. Wir glauben, dass es einen Weg gibt, die Inflation zu senken und gleichzeitig einen starken Arbeitsmarkt aufrechtzuerhalten."

Ganz ohne Schmerzen wird das wohl nicht funktionieren. Besonders kleinere Unternehmen dürften unter höheren Zinsen leiden. Sie haben einen geringeren Cashflow und sind eher auf Kredite angewiesen. An den Börsen hingegen setzte sich eher die Erleichterung durch. Einige Aussagen Powells machten den Anlegern trotz des hohen Zinsschrittes Mut - etwa dass der Fed-Chef betonte, die Entwicklung von Sitzung zu Sitzung neu zu betrachten. Einige Finanzmarktakteure werteten dies offenbar als leichte Abschwächung der zuvor restriktiven Wortwahl. Die nächste Entscheidung steht im September an./nau/DP/bgf

(AWP)