Gipfel-Deal hilft nicht gegen aktuelle Preise
In der aktuellen Lage hätten Verbraucher und Wirtschaft allerdings nichts von einem solchen Instrument. Der vorgeschlagene Mechanismus soll nicht das derzeitige Preisniveau drücken, sondern lediglich zum Einsatz kommen, wenn etwa Manipulationen wie der russische Lieferstopp über Nord Stream 1 die Preise hochtreiben. Auch die Details sind weitgehend unklar. Dennoch habe der Gipfel-Deal schon jetzt dazu geführt, dass die Preise runtergegangen sind, sagte Ratschef Charles Michel.
Etliche Staats- und Regierungschefs reklamierten das Gipfel-Ergebnis als Erfolg. "Das alles ist gelebte europäische Solidarität", sagte Kanzler Scholz, dem vor dem Treffen von vielen Staaten Egoismus in der Energiekrise vorgeworfen worden war. "Wir haben uns zusammengerauft." Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki nannte das Ergebnis gut für Polen und auch Österreichs Kanzler Karl Nehammer verkündete "gute Nachrichten".
Scholz: Noch "viel technische Arbeit zu leisten"
Tatsächlich blieb der Gipfel-Kompromiss allerdings vage. Vereinbart wurde ein "Fahrplan" für die kommenden Wochen und Monate. Als nächstes sollen sich die Energieminister am Dienstag mit dem Vorhaben des Gaspreisdeckels gegen extrem hohe Preise befassen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab sich sicher, dass ein "dynamischer Preiskorridor" eingeführt wird. Scholz verwies dagegen darauf, dass noch "viel technische Arbeit zu leisten" sei. Ihm zufolge müssen die Fachminister eine mögliche Entscheidung bei dem Thema einstimmig fällen, andernfalls werde sich ein EU-Gipfel noch einmal damit befassen. Geregelt ist eigentlich, dass in der Energiepolitik mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden kann.
Bei anderen Gipfel-Teilnehmern sorgten Scholz' Äusserungen für Irritationen. Der Kanzler setzt sich seit Monaten dafür ein, seltener auf das Einstimmigkeitsprinzip zu setzen, um die EU etwa in Fragen der Aussenpolitik handlungsfähiger zu machen. Scholz wischte derlei Hinweise nach dem Gipfel beiseite: Er sehe da keinen Widerspruch. Zudem sei er zuversichtlich, dass die Minister sich einigen werden.
Gipfel gibt mehrere Hürden für neues Instrument vor
Deutschland sah Preisdeckel aller Art bislang kritisch. Berlin befürchtet, dass Lieferanten ihr Gas nicht mehr in die EU, sondern an andere Länder verkaufen könnten. Scholz betonte nach dem Gipfel schliesslich, bei dem geplanten Instrument handele es nicht um einen Deckel, sondern es ziele lediglich auf extreme Preisausschläge, die "manchmal nur an einem Handelstag für zwei, drei Stunden oder zwischen zwei Handelstagen stattfinden und nur auf Spekulation zurückzuführen sind".
Bei den anstehenden Verhandlungen dürfte Berlin nun versuchen, das Instrument so zu konzipieren, dass es möglichst selten oder gar nicht angewendet wird. Der Gipfel-Beschluss legte bereits mehrere Hürden fest, unter anderem, dass die Versorgungssicherheit nicht gefährdet werden dürfe. Bedenken meldeten neben Deutschland auch Länder wie die Niederlande, Österreich oder Ungarn an.
Weniger umstritten war, die Möglichkeit für gemeinsame Gaseinkäufe zu schaffen. Ziel ist, dass Unternehmen sich auf freiwilliger Basis für Einkäufe zusammenschliessen und so die Preise drücken können. "Das ist ein grosser Fortschritt, weil bisher das Wettbewerbsrecht gegen solche Aktivitäten steht", sagte Scholz. Noch in diesem Jahr hatten sich die Länder auf dem Gasmarkt teils gegenseitig überboten.
Deutsch-französischer Motor fällt weitgehend aus
Weitreichendere Ergebnisse gab es beim Gipfel auch deshalb nicht, weil Deutschland und Frankreich in Schlüsselfragen über Kreuz liegen. So fordert der französische Präsident Emmanuel Macron etwa, europaweit einen Preisdeckel für Gas einzuführen, das zur Stromerzeugung genutzt wird - Scholz lehnt ein solches Vorhaben vehement ab. Ähnliche Differenzen gibt es in der Frage, wie in der EU mögliche Unterstützung in der Energiekrise finanziert werden soll.
Macron bezog mit seiner Warnung vor einer Isolation Deutschlands vor dem Gipfel klar Position. Das passt ins Bild der kurzfristig verschobenen gemeinsamen Kabinettssitzung beider Regierungen, die eigentlich für nächste Woche geplant war. Der Grund: Die Differenzen bei zentralen Themen wie Energie und Verteidigung sind zu gross.
Immerhin wollen Scholz und Macron sich nächste Woche in Paris zu zweit treffen. "Wir arbeiten also weiter und vertreten nicht immer die gleichen Positionen, was normal ist", sagte Macron dazu. Klingt nicht gerade zuversichtlich. Dann fügte er noch hinzu, dass es sich gerade um einen Schlüsselmoment für Europa handele. Auch Scholz betonte, dass er sich sehr häufig mit Macron treffe. Die Zusammenarbeit mit Frankreich sei sehr intensiv.
So würde Scholz wohl auch das Verhältnis zu anderen EU-Partnern beschreiben - obwohl ihm wegen seines Kurses in der Energiekrise seit Wochen mangelnde Kooperationsbereitschaft vorgeworfen wird. "Das war doch sehr kooperationsorientiert, sehr freundschaftlich", sagte er nach dem Gipfel. "Ich habe keine Brise gespürt."/dub/DP/ngu
(AWP)