"Wir bei der Fed sind uns der Schwierigkeiten bewusst, die eine hohe Inflation mit sich bringt", sagte Fed-Chef Jerome Powell in einer Pressekonferenz. Die Anhebung um 0,75 Prozentpunkte sei "natürlich ungewöhnlich". "Ich gehe nicht davon aus, dass Schritte dieser Grössenordnung üblich sind", sagte er weiter. Es sei aber von "entscheidender Bedeutung", gegen die Inflation anzukämpfen. Daher habe man die Entscheidung für diesen grossen Zinsschritt getroffen.

Manche Analysten hatten aufgrund jüngster Daten zur anhaltend hohen Teuerungsrate in den vergangenen Tagen bereits gemutmasst, dass die Fed die Märkte mit einer Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte überraschen könnte. Im März rechneten die Entscheider der Fed zum Jahresende im Mittel noch mit einem Leitzins von 1,9 Prozent. Nun gehen sie von 3,4 Prozent in diesem Jahr und sogar 3,8 Prozent im kommenden Jahr aus.

Die Fed sagt ausserdem in diesem Jahr ein deutlich geringeres Wirtschaftswachstum als noch vor drei Monaten angenommen voraus. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der weltgrössten Volkswirtschaft soll demnach um 1,7 Prozent wachsen. Das wären 1,1 Prozentpunkte weniger als noch im März prognostiziert. Die US-Notenbank rechnet im laufenden Jahr auch mit einer höheren Inflationsrate als zuvor angenommen. Die Teuerungsrate soll trotz der geplanten Erhöhungen des Leitzinses 2022 durchschnittlich bei 5,2 Prozent liegen.

Der Druck auf die Notenbank ist derzeit gross: Die Teuerungsrate ist so hoch wie seit rund vier Jahrzehnten nicht mehr, was die Kaufkraft der Verbraucher schmälert; die Menschen können sich bei gleichem Einkommen weniger leisten. Die Fed setzt zur Eindämmung der Inflation nun auf Erhöhungen des Leitzinses. Dadurch verteuern sich Kredite, was die Nachfrage ausbremst. Das hilft dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum.

Vor der Sitzung vom Mittwoch hatten die Entscheider der Fed klar signalisiert, dass erneut mit einem Anstieg um 0,5 Prozentpunkte zu rechnen ist. Daten aus der vergangenen Woche zeigten jedoch, dass die Verbraucherpreise im Mai gegenüber dem Vorjahresmonat um 8,6 Prozent gestiegen waren. Das war der höchste Wert seit 1981. Zudem deuteten neue Erhebungen darauf hin, dass Verbraucher auch künftig mit weiter steigenden Preisen rechnen. Die Inflationsdaten haben den Druck auf die Fed erhöht, weil die von ihr mittelfristig gewünschte Inflationsrate von zwei Prozent damit in immer weitere Ferne rückt.

Für die Notenbank ist es ein Balanceakt: Sie will die Zinsen so stark anheben, dass die Inflation ausgebremst wird - ohne dabei gleichzeitig Konjunktur und Arbeitsmarkt abzuwürgen und eine Rezession auszulösen. "Wir versuchen nicht, eine Rezession herbeizuführen", versicherte Powell. "Wir sind uns bewusst, dass unser Handeln Auswirkungen auf Gemeinden, Familien und Unternehmen im ganzen Land hat", betonte er. Das Ziel sei aber, die Inflation zu senken. "Es ist klar, dass die Menschen die Inflation nicht mögen." Viele würden solch eine Inflation wie aktuell zum ersten Mal in ihrem Leben erleben.

Wegen der Corona-Krise hatte die Fed ihren Leitzins auf nahe Null gesenkt und Konjunktur und Finanzmärkte mit umfangreichen Notprogrammen gestützt. Die gestiegene Inflationsrate bezeichnete die Fed im vergangenen Jahr noch zumeist als "vorübergehenden" Effekt infolge der Pandemie. Gegen Jahresende leitete sie jedoch die Abkehr von ihrer ultralockeren Geldpolitik ein. Im März erhöhte sie den Leitzins erstmals seit der Pandemie um 0,25 Prozentpunkte. Im Mai folgte angesichts der hohen Inflationsrate ein Anstieg um 0,5 Prozentpunkte, das war die stärkste Anhebung seit 22 Jahren.

Eine Herausforderung für die Fed ist es, dass sie manche Ursachen der Preissteigerungen nur begrenzt beeinflussen kann. Die Unterbrechungen globaler Lieferketten und steigende Energiepreise reagieren nicht direkt auf den US-Leitzins. Auch die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Corona-Lockdowns in China kann die Fed nicht kontrollieren.

Die hohe Teuerungsrate sorgt indes auch im Weissen Haus für Kummer: Viele Wähler machen Präsident Joe Bidens Regierung dafür verantwortlich. Grob gesagt: Je höher die Preise, desto mehr fallen Bidens Umfragewerte. Das macht dem Präsidenten und seinen Demokraten zu schaffen, denn sie bemühen sich bei der Kongresswahl im November, ihre knappen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern zu verteidigen./nau/DP/bgf

(AWP)