Tags zuvor hatte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in einer Rede bereits deutlich gemacht, dass die Notenbank einen ungeordneten Anstieg der Finanzierungskosten stärker verschuldeter Länder im Euroraum nicht hinnehmen wird: "Wir werden keine Veränderungen der Finanzierungsbedingungen dulden, die über die fundamentalen Faktoren hinausgehen und die Übertragung der Geldpolitik gefährden."

In den vergangenen Tagen waren die Zinsen an den Kapitalmärkten stark gestiegen, während sich die Stimmung an den Aktienmärkten deutlich verschlechterte. Analysten nannten als Hauptgrund die straffere Geldpolitik der US-Notenbank Fed, aber auch die Aussicht auf Zinserhöhungen der EZB.

Der EZB-Rat hatte bei seiner jüngsten regulären Sitzung am vergangenen Donnerstag angesichts der rekordhohen Teuerung nach langem Zögern den Ausstieg aus der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik beschlossen: Die milliardenschweren Anleihenzukäufe werden zum 1. Juli beendet. Bei der nächsten regulären Sitzung des EZB-Rates am 21. Juli will die Notenbank die Leitzinsen erstmals seit elf Jahren wieder erhöhen, zunächst um jeweils 0,25 Prozentpunkte.

Besonders deutlich waren in den vergangenen Tagen die Kapitalmarktzinsen in südeuropäischen Ländern gestiegen. In Italien kletterte der Zins für zehnjährige Staatsanleihen wieder über die Marke von vier Prozent. Ende März lag er nur halb so hoch.

Der Renditeabstand - der Spread - zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hat sich zuletzt ausgeweitet. Heisst: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich am Markt frisches Geld zu besorgen, weil sie Investoren wieder höhere Zinsen bieten müssen. Das könnte für solche Staaten angesichts ohnehin gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.

Ein Grund für die jüngste Entwicklung ist die Ankündigung der EZB, ihre Neukäufe von Staatsanleihen Anfang Juli einzustellen. Zwar will die EZB Gelder aus auslaufenden Wertpapieren für einen längeren Zeitraum wieder investieren. Aber mit dem Ende der Zukäufe greift die Notenbank den Staaten in deutlich geringerem Ausmass als in den vergangenen Jahren über den Kauf von Anleihen unter die Arme.

Denkbar ist, dass die EZB bei der Wiederanlage von Geldern aus auslaufenden Anleihen bestimmte Länder stärker berücksichtigt. EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel verwies am Dienstag auf den Beschluss der Notenbank aus dem Dezember, wonach Gelder aus dem Ende März ausgelaufenen Corona-Notkaufprogramm PEPP besonders flexibel wieder eingesetzt werden können.

Die EZB habe deutlich gemacht, "dass im Rahmen unseres Mandats unter angespannten Bedingungen Flexibilität ein Element der Geldpolitik bleiben wird", erklärte Schnabel. Diese Verpflichtung könne "innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums in die Praxis umgesetzt werden", sollte die EZB zu dem Schluss kommen, dass die Übertragung ihrer Geldpolitik gefährdet sei. "In diesem Fall können die Reinvestitionen aus fällig werdenden Wertpapieren im Rahmen des PEPP flexibel über die Zeit, die Anlageklassen und die Länder hinweg angepasst werden", sagte Schnabel. Nach bisher Planung will die EZB Tilgungsbeträge der im Rahmen des PEPP-Programms erworbenen Wertpapiere mindestens bis Ende 2024 bei Fälligkeit wieder anlegen.

Schnabel bekräftigte zudem frühere Äusserungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die Notenbank werde bei Bedarf auch neue Instrumente entwickeln, um sicherzustellen, dass ihre Geldpolitik das Hauptziel stabiler Preise bei einer mittelfristigen Inflationsrate von zwei Prozent erreicht. Das Engagement für den Euro sei das Werkzeug der Notenbank gegen eine Fragmentierung im Währungsraum der 19 Länder, sagte Schnabel: "Dieses Engagement hat keine Grenzen."/ben/bgf/DP/bgf

(AWP)