"Bio-Fachgeschäfte und Hofläden stecken zum Teil in einer existenziellen Krise", sagte der Handelsexperte Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn. Denn auch umweltbewusste Verbraucherinnen und Verbraucher hätten ihr Einkaufsverhalten wegen der hohen Inflation deutlich verändert. "Die Leute wollen weiterhin nachhaltig einkaufen und konsumieren, aber billiger - wegen der gesunkenen Kaufkraft", betonte Rüschen.

Bis Ende Oktober sei der Bio-Umsatz um 4,1 Prozent auf 15 Milliarden Euro gesunken, heisst es in dem Bericht des Deutschen Bauernverbandes. Doch gebe es deutliche Unterschiede zwischen den Vertriebsschienen. Auch bei Bioprodukten seien die Discounter Gewinner eines "Trends zum Billig-Einkauf" geworden, heisst es in dem Bericht. In anderen Supermärkten sei der Öko-Umsatz nach Marktforschungsdaten in etwa gleich geblieben, beim Naturkostfachhandel und im Direktverkauf aber dramatisch gesunken.

Nach Zahlen des Marktforschers GfK aus dem Herbst brachen die Umsätze der Biosupermärkte binnen Jahresfrist um 10,8 Prozent ein. Die Naturkostläden und Reformhäuser verzeichneten sogar ein Minus von 37,5 Prozent.

Dabei ist die Bio-Branche eigentlich erfolgsverwöhnt. Der Umsatz von Bio-Lebensmitteln hat sich nach einer Studie der DHBW in den letzten 20 Jahren in Deutschland mehr als verfünffacht. Der Marktanteil der Öko-Produkte stieg von 3,7 Prozent im Jahr 2010 auf 6,8 Prozent im Jahr 2021. Während der Corona-Pandemie hatte sich das Umsatzwachstum sogar noch einmal beschleunigt. Die Bio-Bauern konnten der gestiegenen Nachfrage kaum nachkommen.

Allerdings profitierte von dem Bio-Boom schon in den vergangenen zehn Jahren weniger der Bio-Fachhandel als der klassische Lebensmittelhandel. Supermärkte und Discounter bauten in dieser Zeit laut DHBW ihren Anteil am Bio-Geschäft Schritt für Schritt von 54 auf 62 Prozent aus, der Anteil der Bio-Fachhändler schrumpfte von 46 auf 37 Prozent. Doch taten diese Einbussen den Bio-Supermärkten und Naturkostläden zunächst nicht sonderlich weh, weil auch sie ihren Umsatz dank des kräftigen Wachstums des Gesamtmarktes fast verdoppeln konnten.

Doch der Ukraine-Krieg und seine Folgen - die Energiepreisexplosion und der dramatische Anstieg der Lebensmittelpreise - veränderten das Einkaufsverhalten noch einmal drastisch zu Lasten der Fachhändler. "Die Leute greifen auch bei Bio zu günstigeren Produkten und gehen dafür statt in den Fachhandel häufiger in die normalen Supermärkte und vor allem zu den Discountern", beschreibt Rüschen die Veränderung. Die Folgen zeigten sich rasch. Die 1927 gegründete Reformhauskette Bacher mit ihren bundesweit mehr als 100 Filialen, die Kette Superbiomarkt mit rund 30 Filialen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, aber auch der Leipziger Lebensmittelhändler Biomare mussten den Gang zum Insolvenzgericht antreten und befinden sich mittlerweile in Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.

Die Bio-Supermarktkette Basic mit 20 Filialen in Deutschland stellte Mitte Dezember einen Antrag auf ein Schutzschirmverfahren, um sich zu sanieren. "Wie bei den meisten anderen deutschen Bio-Supermärkten auch haben die Preiserhöhungen bei Lebensmitteln bei den Basic-Märkten zu einer Kaufzurückhaltung der Verbraucher geführt", berichtete das Unternehmen. Die Situation werde verschärft durch die gestiegenen Energiekosten.

Rasche Besserung ist für den Bio-Fachhandel wohl erst einmal nicht in Sicht. "Bio wird erst wieder auf den gewohnten Wachstumspfad zurückkehren, wenn die Energiepreise und damit die Inflation deutlich sinken und die Kaufkraft wieder steigt", prognostiziert Branchenkenner Rüscher. Doch selbst dann dürften viele Bio-Fachgeschäfte weiter zu kämpfen haben, glaubt Rüscher. "Die klaren Gewinner der Krise sind die Edekas und Rewes sowie die Discounter", ist er überzeugt. Sie hätten mit ihrem ausgeweiteten Bio-Angebot den Gang in die Bioläden für viele Kunden mittlerweile überflüssig gemacht.

Wachstumspotenzial sollte die Bio-Branche, wenn sich die Preissituation eines Tages beruhigt, auf jeden Fall noch haben. Denn im europäischen Vergleich belegt Deutschland mit Bio-Umsätzen von 180 Euro pro Kopf lediglich Rang 7. Zum Vergleich: Die Schweizer geben pro Kopf im Jahr 418 Euro für Bio-Produkte aus, die Dänen 384 Euro./rea/DP/mis

(AWP)