Weidmann kennt die Commerzbank aus schwierigen Zeiten: Als das Institut sich in der Finanzkrise 2008/2009 mit der Dresdner-Bank-Übernahme übernommen hatte und mit Steuermilliarden vor dem Kollaps bewahrt werden musste, war Weidmann als einer der führenden Berater der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Kanzleramt. Der gebürtige Solinger gehörte damit zu der Gruppe von Spitzenbeamten, die Rettungspakete für strauchelnde Banken schnürten. Seit der Finanzkrise ist der Bund grösster Einzelaktionär der Commerzbank mit aktuell 15,6 Prozent Anteil.
Im Alter von 43 Jahren übernahm Weidmann im Mai 2011 als damals jüngster Bundesbank-Präsident aller Zeiten den Posten bei der Notenbank in Frankfurt von Axel Weber, der im Streit über die Anti-Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hingeworfen hatte. Auch Weidmann warnte als Mitglied des EZB-Rates stets vor einer zu ausufernden Geldpolitik ("Wir sollten die Gefahr nicht unterschätzen, dass Notenbankfinanzierung süchtig machen kann wie eine Droge.") und sah die milliardenschweren Anleihenkäufe der EZB kritisch. Viele sahen Weidmann als einsamen Rufer.
Wie Weber kam auch Weidmann bei der Neubesetzung des EZB-Chefpostens nicht zum Zug. Und wie Weber, den es als Verwaltungsratspräsident zur Schweizer Grossbank UBS zog (bis Anfang April 2022), wird Weidmann nun aller Voraussicht nach bei einer Bank anheuern.
Die Weichen für den beruflichen Wechsel hat der promovierte Volkswirt Weidmann Ende 2021 gestellt: "Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als 10 Jahre ein gutes Zeitmass sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen - für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich", liess der damalige Bundesbank-Präsident mitteilen und kündigte seinen Rücktritt zum 31. Dezember 2021 an.
Ist Weidmann der Richtige für den Aufsichtsratsvorsitz bei der Commerzbank? Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität ist skeptisch: "Ein ehemaliger Zentralbanker hat nicht unbedingt das Profil für einen Aufsichtsratsvorsitzenden einer Grossbank", schrieb Brühl auf Twitter.
Für Weidmann spricht, dass er sowohl in Frankfurt als auch im politischen Berlin bestens vernetzt ist. Und er könnte an der Aufsichtsratsspitze der Commerzbank wieder für mehr Konstanz sorgen: Im Sommer 2020 hatte der damalige Chefkontrolleur Stefan Schmittmann nach deutlicher Kritik des US-Finanzinvestors Cerberus hingeschmissen. Es folgte der einstige Landesbanker Hans-Jörg Vetter, der jedoch aus gesundheitlichen Gründen das Amt schon im Frühjahr 2021 wieder abgeben musste. Als Nachfolger verpflichtete die Commerzbank überraschend den Genossenschaftsbanker Gottschalk.
Dass Gottschalks Verhältnis zu Commerzbank-Vorstandschef Manfred Knof laut Medienberichten als angespannt gilt, weil sich der Aufsichtsratschef zu sehr ins Tagesgeschäft einmische, könnte ein weiterer Grund für den erneuten Wechsel an der Aufsichtsratsspitze sein.
Der als Sanierer Anfang 2021 angetretene Knof hat den Sparkurs verschärft. Die Commerzbank hat Tausende Stellen gestrichen und Hunderte Filialen dichtgemacht. Nach einem Milliardenverlust im Jahr 2020 schreibt das Institut inzwischen aber wieder schwarze Zahlen. Im laufenden Jahr peilt der Vorstand mehr als eine Milliarde Euro Gewinn an, die Aktionäre sollen für das Geschäftsjahr 2022 erstmals seit 2018 wieder eine Dividende erhalten.
"Die Commerzbank hat mit der Neuausrichtung des Vorstandsteams und der Wiederherstellung der Rentabilität des Kerngeschäfts in den vergangenen eineinhalb Jahren grosse Fortschritte gemacht und ist heute wieder in einer robusten Verfassung", bilanzierte der scheidende Aufsichtsratschef Gottschalk in der Mitteilung vom Samstagabend. "Sie hat damit gute Chancen für die Gestaltung einer nachhaltig erfolgreichen Zukunft als eigenständige Kraft am deutschen Bankenmarkt."/ben/jbz/DP/he
(AWP)