Die Papiere stiegen kurz nach der Eröffnung bis an die Hürde von 39 Euro, an der sie seit Mitte März mehrfach gescheitert waren. Zuletzt summieren sich die Gewinne bei einem Kurs von 38,37 Euro noch auf rund viereinhalb Prozent.

Laut Steilemann "fehlen noch die grossen Impulse" mit Blick auf eine Belebung des Tagesgeschäfts. Die optimistischere Gewinneinschätzung fusse im Wesentlichen auf einer weiteren Senkung der strukturellen Kosten auch im ersten Quartal, sagte er dpa-AFX. "Wir befinden uns nach wie vor in einer etwas unterdrückten Nachfragesituation. Der einzige leichte Lichtblick sind vielleicht die Automobile, weil wir hier ausgehend von einem niedrigen Niveau erste Anzeichen einer Belebung sehen." In China bleibe die grosse Belebung noch aus, in den USA gebe es für Mai erste positive Signale, aber Europa sei noch vergleichsweise schwach.

Analyst Markus Mayer von der Baader Bank zeigte sich in einer ersten Reaktion auf den Quartalsbericht positiv gestimmt. Covestro habe das Tief Ende 2022 durchschritten und könnte sich nun schneller erholen, als am Markt allgemein erwartet werde. Der Unternehmensausblick untermauere dies.

Für 2023 stellt Steilemann konkret einen operativen Gewinn (Ebitda) von 1,1 bis 1,6 Milliarden Euro in Aussicht. Schlimmstenfalls bedeutet das einen Rückgang um fast ein Drittel, bestenfalls Stabilität.

Der operative freie Mittelfluss - also das Geld, was im Tagesgeschäft letztlich bei Covestro hängen bleibt oder abfliesst - dürfte demnach zwischen Null und einer halben Milliarde Euro Zufluss herauskommen. Bisher war auch hier ein deutlicher Rückgang avisiert worden, nach 138 Millionen Euro positivem Cashflow im vergangenen Jahr.

Im ersten Quartal brach - wie bereits seit Mitte April bekannt - das operative Ergebnis im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast zwei Drittel auf 286 Millionen Euro ein, bei einem Umsatzrückgang um ein Fünftel auf 3,74 Milliarden Euro. Damit hielt sich das Unternehmen gewinnseitig besser, als von Analysten befürchtet worden war. Covestro begründete das in erster Linie mit Kostensenkungen. Der überwiegende Teil der Einsparungen sei auch von Dauer, sagte Steilemann nun, wollte aber nicht konkreter werden. Im zweiten Jahresviertel soll ein operativer Gewinn von 330 bis 430 Millionen Euro erzielt werden, was deutlich mehr ist als von Branchenexperten erwartet.

Unter dem Strich fiel von Januar bis Ende März ein Verlust von 26 Millionen Euro an, nach einem Überschuss von 416 Millionen Euro vor einem Jahr. Auch der operative freie Mittelfluss war mit minus 139 Millionen Euro negativ.

Covestro stellt unter anderem Kunststoffe etwa für Autoteile und Laptop-Verkleidungen sowie Schaumstoffvorprodukte für Dämmmaterialien, Pkw-Teile, Sitze und Matratzen her. 2022 hatte der Konzern eine schwache Nachfrage, hohe Energie- und Gaspreise sowie die massiven Corona-Einschränkungen in China zu spüren bekommen. Hinzu kam vor allem seit Herbst 2022 ein massiver Abbau von Lagerbeständen durch Kunden, die sich zuvor die Lager angesichts angespannter globaler Lieferketten vollgeräumt hatten.

Stark unter Druck stand Anfang 2023 erneut die Covestro-Sparte Performance Materials rund um das Massengeschäft mit Standard-Polycarbonaten, Standard-Urethankomponenten sowie Basischemikalien. Ihr operatives Ergebnis fiel im ersten Jahresviertel um 72 Prozent. Die Sparte Solutions & Specialties, in der Covestro Spezialprodukte wie massgeschneiderte Urethankomponenten, Beschichtungen und technische Kunststoffe anbietet, hielt sich indes - wie schon 2022 - besser mit einem Rückgang des operativen Resultats um gut ein Viertel.

Positive Signale sieht Covestro für die europäische Produktion des Weichschaumvorprodukts TDI. Hier hatte die Wettbewerbsfähigkeit der Branche 2022 massiv unter stark gestiegenen Energiepreisen gelitten. Der weltgrösste Chemiekonzern BASF kündigte Anfang 2023 sogar die Stilllegung einer grossen Produktionsanlage in Deutschland an, was Experten aber auch auf unternehmensspezifische Probleme zurückführen.

Durch die BASF-Entscheidung übertreffe die Nachfrage in Europa mittlerweile die hiesigen Produktionskapazitäten, hiess es nun von Covestro. Gleichzeitig seien TDI-Importe aus anderen Regionen der Welt auf dem aktuellen europäischen Energiepreisniveau nicht länger günstiger als die Produktion in Europa selbst.

Wegen des starken Energiepreisanstiegs 2022 hatten sich viele Chemieunternehmen bei Entscheidungen über Neubau- und Erweiterungsinvestitionen in Europa und Deutschland in den vergangenen Monaten mehr als bedeckt gehalten. Stattdessen legten sie ihren Fokus auf die USA, wo für bestimmte Projekte massive staatliche Investitionsförderungen locken und wo auch Energie deutlich günstiger ist.

Daher richten sich die Blicke auch auf die Debatte um einen fixen Industriestrompreis in Deutschland. So prüft das Wirtschaftsministerium eine Einführung, schon in der ersten Mai-Woche könnte es laut Medienberichten einen Vorschlag geben.

"Wir wissen, dass der Strompreis entscheidend ist für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes", sagte der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Michael Kellner (Grüne), jüngst im Wirtschaftsausschuss. Die Vorstellung sei, dass der Industriestrompreis bei unter zehn Cent pro Kilowattstunde landen sollte. Der aktuelle Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte allerdings im Juni 2021 - also vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine - vier Cent pro Kilowattstunde als Überlegung in Spiel gebracht. Laut Kellners aktuellen Äusserungen ist das nicht machbar.

Covestro-Chef Steileman sieht das kritisch. Scholz habe während seiner Wahlkampagne "von einem Industriestrompreis von vier bis fünf Cent gesprochen (...) und da muss die Richtung hingehen."/mis/men/stk

(AWP)