Das Papier geriet zunächst unter Druck, fing sich dann aber im Bereich um die 19 Euro, der seit Anfang April immer wieder Halt geboten hatte. Bis zum Mittag drehte der Kurs dann sogar und stieg um 0,36 Prozent auf 19,56 Euro. Damit konnte die Aktie zumindest den im Herbst 2022 gestarteten kurzfristigen Aufwärtstrend verteidigen. Langfristig bleibt die Lage aber trist. Ausbruchsversuche über die Marke von 20 Euro misslangen seit Ende 2022 mehrfach. Zum Vergleich: Vor gut zwei Jahren hatten die Papiere noch rund 30 Euro gekostet.
Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen dürfte 2023 eher am unteren Ende der angepeilten Spanne von 2,1 bis 2,4 Milliarden Euro liegen, teilte der Konzern am Dienstag mit. Allerdings geht der Vorstand dabei sogar schon von 75 Millionen Euro weniger Investitionen aus als zuletzt.
Die gesamte Chemieindustrie bekam vor allem nach dem Jahreswechsel eine Zurückhaltung der Kunden zu spüren, die wegen der Wirtschaftsflaute sowie prall gefüllter Lager weniger bestellten. Evonik steuert mit Einsparungen durch weniger externe Berater, strengere Reisevorschriften sowie eine Begrenzung der Neueinstellungen gegen. Dies trage erste Früchte, wenngleich der Grossteil der angestrebten Einsparungen von 250 Millionen Euro erst im weiteren Jahresverlauf realisiert werde, hiess es nun.
Bei einem Umsatzrückgang um elf Prozent auf gut 4 Milliarden Euro sank Evoniks bereinigtes operatives Ergebnis im ersten Quartal im Jahresvergleich um 44 Prozent auf 409 Millionen Euro. Dabei lief es für das Unternehmen nicht ganz so schlecht wie von Analysten befürchtet. Unter dem Strich verdienten die Essener 47 Millionen Euro nach 314 Millionen ein Jahr zuvor.
Für das zweite Quartal sieht die Unternehmensführung in einigen Bereichen bereits Verbesserungssignale, allerdings nicht überall. Insgesamt erwartet sie das operative Ergebnis daher auf dem Niveau des ersten Jahresviertels.
Beim freien Mittelzufluss erreichte Evonik zum Jahresstart 21 Millionen Euro. Der Free Cashflow war in den vergangenen Jahren immer wieder ein Schwachpunkt des Konzerns und hatte Kritik von Investoren und Analysten ausgelöst. "Um unsere Cashflow-Ziele in diesem Jahr zu erreichen, sind weitere Anstrengungen nötig", sagte Maike Schuh, die seit April die Finanzen des Konzerns verantwortet, laut Mitteilung. "Wir brauchen viel Disziplin im Umgang mit unserem Umlaufvermögen und bei den Investitionen." Im März hätte Evonik für 2023 einen Free Cashflow über dem Vorjahreswert von 785 Millionen Euro in Aussicht gestellt.
Im Blick bleibt derweil auch die Trennung vom Geschäft mit Standardchemikalien der Sparte Performance Materials. Ein Käufer für den Standort Lülsdorf südlich von Köln, wo unter anderem Cyanurchlorid für Pflanzenschutzmittel hergestellt wird, hat sich bereits gefunden. Für die beiden grösseren Bereiche Super Absorber mit saugstarken Materialien für Windeln sowie den C4-Verbund rund um petrochemische Zusätze für Kautschuk, Kunststoffe und Spezialchemikalien soll weiterhin bis Jahresende Klarheit herrschen.
Für das Superabsorber-Geschäft wurden erste Unterlagen zuletzt an potenzielle Interessenten verschickt, wie Finanzchefin Schuh Mitte April vor Journalisten gesagt hatte. Da dürfte es gut passen, dass der Umsatz der Superabsorber im ersten Quartal bei höheren Verkaufspreisen stieg. Trister sah es bei den Produkten des C4-Verbundes aus, hier gingen Nachfrage und Preise zurück. Evonik-Chef Kullmann hatte in der Vergangenheit aber immer wieder betont, dass es keinen Zeitdruck beim Verkauf des Bereichs gebe, dessen Geschäft mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung stark schwankt.
Auch das Geschäft mit dem Tierfutter-Eiweiss Methionin der Sparte Nutrition & Care schwächelte wegen gesunkener Preise weiter. Dieses Problem wird auch durch vermehrte Konkurrenz aus China vergrössert. Evonik hatte daher jüngst die Streichung von 200 Stellen in dem Bereich angekündigt. Zudem will der Konzern Anlagen optimieren. Ziel sind jährliche Kosteneinsparungen von 200 Millionen Euro bis zum Jahr 2025.
Analyst Markus Mayer von der Baader Bank sieht diese Einsparungen zwar als wichtig an, um die Profitabilität des Methionin-Geschäfts in den kommenden beiden Jahren zu halten. Allerdings dürften weiter fallende Preise bis 2026 nach seiner Einschätzung bis zu rund einem Viertel der Einsparungen aufzehren.
Die Frage, ob das Methionin-Geschäft perspektivisch ebenfalls zur Debatte stehen werde, verneinte Kullmann in der Telefonkonferenz. Zwar sei Methionin keine Spezialität - damit meint er hochmargige Produkte im Gegensatz zu Standardware -, doch bringe es als "Cash Cow" gutes Geld herein. Daher solle die Effizienz gesteigert werden, um die Kostenführerschaft zu behalten.
Besser als die eigentlich ebenfalls zum Wachstumsbereich erklärte Sparte Nutrition & Care hielten sich die Geschäftsbereiche Specialty Additives, der Zusatzstoffe für Materialien für die Bau- und Autoindustrie sowie für Rotoren für Windkraftanlagen anbietet, sowie Smart Materials, der vor allem vom Ausbau der Produktionskapazitäten für Polyamid 12 profitierte.
Dieser Kunststoff ist gerade in der Ölbranche heiss begehrt: Er wird in alte Rohre und Pipelines eingezogen, um deren Lebensdauer zu erhöhen. Im zweiten Quartal wird nun aber ein PA-12-Werk gewartet, was weniger Produktion bedeutet./mis/stw/ngu/men/stk
(AWP)