Nach vorläufigen Berechnungen nennt das Bundesamt für die Reallöhne einen Rückgang von durchschnittlich 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das ist der mit Abstand höchste Kaufkraft-Verlust seit Beginn der statistischen Reihe im Jahr 2008. Hohe Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die Menschen können sich für einen Euro immer weniger leisten, was zum Jahresende 2022 bereits deutlich auf den privaten Konsum gedrückt hat. "Die Konsumenten sind nicht immun gegen eine Erosion ihrer Kaufkraft durch die rekordhohe Inflation", erläutert Commerzbank -Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Die deutschen Reallöhne sind in der Corona-Krise bereits seit zwei Jahren rückläufig, nachdem es in den 2010er-Jahren fast ausschliesslich Zuwächse gab. Im Jahr 2020 hatte zunächst der flächendeckende Einsatz von Kurzarbeit zu einer negativen Lohnentwicklung geführt. In den vergangenen zwei Jahren war dann der Anstieg der Verbraucherpreise der wichtigste Grund für den Schwund bei den Reallöhnen. Die Veränderung des Reallohns wird berechnet, indem man vom durchschnittlichen Zuwachs des nominalen Bruttolohns den Anstieg der Verbraucherpreise abzieht.

Für die Tarifbeschäftigten hat die gewerkschaftliche Böckler-Stiftung sogar einen Reallohnverlust von 4,8 Prozent berechnet, weil 2022 nur für wenige Beschäftigte neue Tarifabschlüsse wirksam wurden. Dabei war aber ein deutlicher Trend zu höheren Abschlüssen erkennbar, sagt Thorsten Schulten, Leiter des zuständigen WSI-Tarifarchivs. Die Steigerung der Tariflöhne um durchschnittlich 4,1 Prozent bei den Neuabschlüssen reichte aber nicht zum Ausgleich der Teuerung. "Die Inflation ist stets eine Verteilungsfrage. Bislang ist sie stark auf Kosten der Beschäftigten bezahlt worden", sagt der gewerkschaftliche Experte.

Im laufenden Jahr werde es höhere Abschlüsse geben, ist sich Schulten angesichts zweistelliger Tarifforderungen etwa bei der Post, im öffentlichen Dienst oder aktuell bei der Bahn sicher. "Es muss eine höhere Lohndynamik geben."

Die Inflation als zu übertreffende Marke ist derzeit rückläufig, zudem greifen die verschiedenen staatlichen Hilfsprogramme wie die Energie-Preisbremsen und direkte Zuschüsse. In vielen Tarifabschlüssen wird die staatliche Vorgabe genutzt, 3000 Euro Steigerung steuer- und abgabenfrei zu halten. Für das laufende Jahr 2023 erwartet die Bundesregierung eine Preissteigerung von noch 6,0 Prozent auf der Verbraucherebene. Die Reallohnverluste könnten also zurückgehen, wenn die Gewerkschaften höhere Abschlüsse durchsetzen.

Am unteren Ende der Lohnskala gab es 2022 übrigens keine Reallohnverluste, denn der gesetzliche Mindeststundenlohn stieg von 9,82 Euro zu Jahresbeginn auf 12,00 Euro, also mehr als 20 Prozent. Im laufenden Jahr wird zwar über eine erneute Erhöhung nachgedacht, die aber erst zum Jahresbeginn 2024 ansteht./ceb/DP/mis

(AWP)