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Seit den Erfolgsmeldungen bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 sind auch die hiesigen Aktienmarktakteure in zwei Lager gespalten. Für das eine Lager ist die Zeit reif, um auf die nunmehr schon seit Jahren sträflich vernachlässigten Substanzwerte wie Zurich Insurance, LafargeHolcim oder UBS zu setzen. Für das andere Lager sind Wachstumsaktien wie Lonza, Tecan oder Logitech auch weiterhin das Mass aller Dinge. "Stay with the winners", so lautet ihre Durchhalteparole.

Ich nutze den Begriff Durchhalteparole an dieser Stelle ganz bewusst, da viele der zuvor gefeierten Börsenüberflieger in den letzten Wochen von ihren Höchstkursen zurückgefallen sind und die noch immer stattlichen Kursavancen munter vor sich hinschmelzen. Grund sich zu beklagen haben die Aktionäre der genannten Unternehmen dennoch nicht – vorausgesetzt sie sind nicht erst kürzlich eingestiegen. Denn noch immer führen ihre Aktien die diesjährige Gewinnerliste mit grossem Abstand auf die Verfolgergruppe bestehend aus Substanzwerten an.

Der Schlagabtausch "Wachstumsaktien gegen den Rest der (Börsen-)Welt" nimmt immer extremere – ja fast schon religiöse – Züge an. Als wäre es eine Frage von Gut gegen Böse. Stattdessen haben beide Titelkategorien durchaus ihre Daseinsberechtigung. Also weshalb nicht einfach das eine tun und das andere nicht seinlassen?!

Wachstums- gegen Substanzwerte bedeutet auch Zurich-Aktien (grün) gegen Tecan-Aktien (Quelle: www.cash.ch)

Wie gut man in friedlicher Koexistenz leben kann, zeigten am gestrigen Donnerstag die Zulieferer Comet und Autoneum. Beide Unternehmen warteten frühmorgens mit erfreulichen Aussagen zur diesjährigen Umsatz- und Gewinnentwicklung auf, was die Börse entsprechend zu würdigen wusste. Zur Erinnerung: Als Halbleiterzulieferer zählt Comet zu den Wachstumsaktien, Autoneum als Automobilzulieferer hingegen zu den Substanzwerten.

Heute Freitag sorgt eine Heraufstufung der Aktien von Autoneum von "Reduce" auf "Hold" bei einem Kursziel von 150 (zuvor 100) Franken durch Analyst Torsten Sauter von Kepler Cheuvreux für Anschlusskäufe. Der Turnaround in Nordamerika nehme Fahrt auf. Eine Kapitalerhöhung sei damit wohl vom Tisch, so der Leiter der Schweizer Aktienanalyse.

Solche Tagesgewinne von ein paar wenigen Prozent würden an der New Yorker Börse wohl eher belächelt. Dort sind prozentual zweistellige Kursgewinne mittlerweile an der Tagesordnung. Merrill Lynch meldet denn auch einen rekordhohen Mittelzufluss in amerikanische Aktienfonds. Unter dem Strich flossen letzteren seit Ende Oktober 89 Milliarden Dollar zu. Davon gingen knapp 8 Milliarden Dollar in auf Substanzwerte spezialisierte Fonds, was dem zweithöchsten je gemessenen Zufluss entspricht. Der bisherige Rekord geht auf letzten Dezember zurück. Gar 10 Milliarden Dollar wurden unter dem Strich in Nebenwertefonds angelegt.

Es ist dies der Treibstoff, den das dortige Kursfeuer am Lodern hält – und für ein buntes Potpourri an Exzessen sorgt. Wie die Leserinnen und Leser meines morgendlichen Insider-Briefing wissen, ist das viel beachtete Put-Call-Verhältnis in New York jüngst auf den tiefsten Stand in der Geschichte gefallen. Mit anderen Worten: Es wird substanziell mehr auf steigende Kurse spekuliert als auf tiefere Kurse gesetzt wird oder man Aktienbestände über Put-Optionen absichert.

Doch nicht nur das Put-Call-Verhältnis hat ein noch nie zuvor gesehenes Tief erreicht. Dasselbe lässt sich von der Anzahl leerverkauften Aktien an der New York Stock Exchange (NYSE) behaupten. Die neusten Statistiken lassen auf eine regelrechte Kapitulation der Leerverkäufer schliessen. Kaum noch jemand traut sich, Wetten à la Baisse einzugehen.

Ganz anders, wenn es darum geht à la Hausse zu spekulieren. Bei den Aktien von Tesla gab es zuletzt sogar Anleger, die Mitte Dezember verfallende Call-Optionen mit einem Ausübungspreis von 950 Dollar erworben haben. Zur Erinnerung: Nachdem sich die Papiere des Elektroautomobil-Pioniers seit Jahresbeginn im Kurs versechsfacht haben, kosteten sie zuletzt um die 575 Dollar. Da muss bis Mitte nächsten Monat schon fast ein Wunder geschehen, soll diese Wette nicht in Tränen enden.

Da überrascht mich nicht, fristen die Schwergewichte aus dem Swiss Market Index (SMI) – und mit ihnen auch das Börsenbarometer selber – ein Mauerblümchen-Dasein.

Selbst als Novartis am Dienstag anlässlich des diesjährigen Investorentages mit ermutigenden Aussagen zum kommerziellen Potenzial einiger Schlüsselmedikamente sowie einem milliardenschweren Aktienrückkaufprogramm aufwartete, verlieh das den Aktien gerademal in der ersten Handelsstunde etwas Auftrieb. Im weiteren Tagesverlauf ging der Schwung dann wieder verloren.

Die Genussscheine von Roche haben seit numehr zwei Wochen einen schweren Stand (Quelle: www.cash.ch)

Gleichentags liessen Firmenvertreter des Platzrivalen Roche gegenüber Analysten eine kleinere Bombe platzen. Sie räumten ein, dass günstigere Nachahmerpräparate auch im bisherigen vierten Quartal zu einer Umsatzerosion bei Herceptin, Rituxan und Avastin führten. Abgaben aus dem angelsächsischen Raum liessen nicht lange auf sich warten, was den Genussscheinen sichtlich zusetzte.

Nächste Woche nutzen weitere Unternehmen wie VAT Group, Adecco oder die frühere Schindler-Tochter Also die nachrichtenarme Adventszeit für eine Charmeoffensive und laden zum Investorentag. Der belagerte Backwarenhersteller Aryzta muss hingegen den Beweis antreten, dass sich das Tagesgeschäft im zurückliegenden Quartal weiter belebt hat.

Doch zuerst steht uns noch das Abstimmungs-Wochenende bevor. Wie auch immer das Ergebnis ausfällt – die mediale Aufmerksamkeit im Ausland dürfte der Schweiz gewiss sein. Mehr zum Thema kommenden Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.

 

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